Wo Lügen zur Wahrheit werden

Was ein österreichischer Politiker als Satire verstanden wissen wollte, kam bei Journalisten und auch bei den beiden DoPs und Mitgliedern des aac, Carlo Hofmann und Dietrich Heller, nicht so gut an. Ihre Antwort darauf ist die mittlerweile bereits preisgekrönte Kurz-Dokumentation über die ZIB 2 Redaktion des ORF mit dem Titel „No Lies“, berichtet Wolfgang Ritzberger, selbst ehemaliger ZIB 2 Mitarbeiter.

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No Lies  ORF 

Anfangs erschloss sich nicht gleich allen, was die beiden da im Sinne hatten, als Carlo Hofmann und Dieter Heller (beide haben etliche TV-Dokus, etc. auch für den ORF gedreht) ihre Idee dem damaligen Leiter der ZIB 2, Wolfgang Wagner, präsentierten. Das vor rund einem Jahr als Satire servierte Posting eines österreichischen Politikers „Es gibt einen Ort, an dem Lügen zu Nachrichten werden. Das ist der ORF!“ wollten die beiden nicht hinnehmen und sich selbst ein Bild machen. Als gelernte Kameraleute natürlich mit der Kamera und stellvertretend für alle, die sich das Ergebnis einmal anschauen werden. Sprich, sie wollten dabei sein, wenn die Wahrheit zur Lüge wird – oder auch nicht. „Wir wollten anhand der täglichen Abläufe in der ZIB 2-Redaktion des ORF zeigen, wie wichtig Qualitätsjournalismus ist und wie dieser im Rahmen eines öffentlich-rechtlichen Fernsehsenders funktioniert“, erklärt Dietrich Heller.

 

Den beiden ist es sichtlich gelungen, letztlich auch den ORF-Generaldirektor Alexander Wrabetz davon zu überzeugen, dass es dem ORF nicht schaden kann, der Kernfrage, die der Politiker mit seiner zwar als Satire verpackten Behauptung postulierte, nachzugehen - am Ort des Geschehens. An zwei Tagen im Mai 2018 waren die beiden mit einer Sony FS7 MII Kamera und Canon Foto-Optiken, (Rental: Equipment Cafe) mittendrin Interviews mit Armin Wolf, dem damaligen ZIB 2-Leiter Wolfgang Wagner, mit Lou Lorenz-Dittlbacher, mit Ulla Kramar-Schmid, Andreas Pfeifer und anderen zeichnen ein präzises Bild von dem, wie und woran hier gearbeitet wird. Es wird schnell klar, dass die hier arbeitenden Menschen ein sehr spezielles Selbstverständnis haben, denn sie werden nicht müde die Sonderstellung eines gebührenfinanzierten, öffentlichrechtlichen Senders zu betonen. Das, was sie täglich produzieren, sehen sie selbst als Qualitätsjournalismus und diesen als unverzichtbaren Teil einer funktionierenden Demokratie. Armin Wolf macht es im Interview ganz deutlich: Qualitätsjournalismus sei auf dem freien Markt eigentlich nicht finanzierbar – auch früher sei die freie Presse in Wahrheit der Luxus von ein paar reichen Männern gewesen, die sich Zeitungen leisteten, um ihre Meinung zu drucken.

 

Um eine Zeitung herauszubringen, brauchte es vor einigen Jahrzehnten noch sehr viel Geld, gleiches galt dazwischen auch für TV-Stationen, in die Millionen versenkt wurden. Das einzige Modell, unabhängigen oder auch Qualitätsjournalismus zu finanzieren sei, so Armin Wolf, das Modell eines öffentlich-rechtlichen Fernsehens, das durch Gebühren teilfinanziert werde. Denn so ein Sender gehöre niemandem und sei daher auch keinen Eigentümern verpflichtet. In den Interviews wird auch klar, dass die ZIB 2-Mitarbeiter keine Illusionisten sind und sehr wohl wissen, dass sie, heute mehr denn je, der Kritik ausgesetzt sind. Was auch damit zu tun hat, so Wolf weiter, dass heute jeder seinen eigenen TV-Sender oder seine Zeitung, etwa als Blog, starten kann. Überlassen wir die Information der Staatsbürger, die auch Wähler sind, und deshalb Parteien und Politiker, nach deren Programmen und dem, was diese davon auch umsetzen, beurteilen können sollten, dem Internet, oder versuchen wir dem, mit möglichst objektiv gestalteten Nachrichten entgegenzuhalten, so Wolf weiter. Internationale Stimmen kamen ebenfalls zu Wort:  Giovanni Di Lorenzo, Chefredakteur „die Zeit“, Anastasiia Kanarova, unabhängige Journalistin aus der Ukraine, sowie Anja Reschke, politische TV-Journalistin und Moderatorin aus Deutschland.

 

Eine endgültige Antwort kann der Film natürlich nicht geben, nur soweit man es nach den etwas mehr als 20 Minuten, in denen man ganz nah am Entstehen der ZIB 2 dran war, beurteilen kann, dürfte die Transformation von Wahrheit zur Lüge zumindest hier nicht stattfinden. „No Lies“ feierte Anfang April mit großem Erfolg im Rahmen des European Independent Film Festivals (ECU) in Paris seine Kino-Weltpremiere und wurde in Kalifornien beim „Best Shorts“Festival mit einem Merit Award ausgezeichnet. Den Film haben die beiden Autoren und Kameramänner übrigens selbst finanziert, weil sie nicht, wie es im Pressetext heißt, monate- oder jahrelang auf Förderungen warten wollten. Die Filmmusik stammt von Mathias Werner, die Postproduktion fand mit Unterstützung von viennafx statt, und gemischt wurde der Ton beim Hupo Weninger. Der Trailer ist unter „No Lies“ auf Vimeo zu finden.

 

Blick zurück 

Bei mir, dem Autor dieser Zeilen, erweckt diese Kurz-Doku viele Bilder im Kopf, kenne ich doch zwei der Interviewten persönlich: Wolfgang Wagner, bei den Dreharbeiten zu „No Lies“ Leiter der Redaktion, war in den 90ern Redakteur im Ressort Innenpolitik der ZIB und Armin Wolf, ein damals noch eher unbekannter Mitarbeiter der Journalredaktion beim Hörfunk. Der große Star der ZIB 2 war damals der zum ORF zurückgekehrte Moderator Robert Hochner, der die Sendung wie kein Zweiter prägte. Der damalige Chef der ZIB 2-Redaktion, Elmar Oberhauser, war bekannt als bissiger Moderator, und beide, Hochner wie auch Oberhauser, führten zum Teil legendäre Studio-Interviews. So gelang es Robert Hochner, den PLO-Chef Jassir Arafat, der zu uns ins Studio auf den Küniglberg (ORF Zentrum) kam, mit gezielten und höflich vorgetragenen Fragen so aus der Reserve zu locken, dass er fast die Fassung verlor, weil er sich über Israel so ärgerte. Heute ist Robert, zu dem ich ein freundschaftliches Verhältnis pflegen durfte, schon fast 18 Jahre tot – er wäre heute 74 Jahre alt und sicher längst in Pension. Aus seinen Depressionen machte er zu Lebzeiten kein Hehl, seine Fähigkeit, Interviews zu führen, alles zu fragen und den Interviewten trotzdem nicht „vorzuführen“, machte ihn zur Legende. Obwohl auch er Rückschläge zu verdauen hatte. Als die Arbeiter Zeitung, das ehemalige Zentralorgan der SPÖ, unter neuem Eigentümer versuchte, sich mit einem Neustart auch ein neues Image zu verpassen, wurde er als Chefredakteur angeheuert.

 

Genervt vom ständigen Konkurrenzkampf unter den Moderatoren hatte er zugesagt. Dem mit viel Verve angegangenen Projekt war aber kein Glück beschieden, sie ging letztlich, wie so gut wie alle Parteizeitungen, ein. Obwohl damals wie heute für „fahnenflüchtige“ ORFler gilt: weggegangen, Platz vergangen, kehrte Hochner als Moderator der Zeit im Bild 2 zurück. Für Gerd Bacher, damals Generalintendant, zählte, dass Hochner dem ORF etwas brachte. Sein ehemaliger Hauptkonkurrent war mittlerweile ZIB 1-Moderator und die ZIB 2 wurde unter Elmar Oberhauser, der sich mit seiner bärbeissigen Art, Fragen zu stellen, schon als Redakteur der ZIB Innenpolitik einen Namen gemacht hatte, neu aufgestellt. Karl Amon und ich, man nannte uns „charmant“ die „Unterhausers“, waren die Redaktion und versuchten, nicht selten gegen den Widerstand der Ressorts, eine eigene Sendung auf die Beine zu stellen. Es ging schlicht darum, dass die Ressorts damals in allen Sendungen die Berichterstattung über zum Beispiel Innenpolitik bestimmen wollten. Wir wollten eine aktuelle Nachrichtensendung sein. Elmar Oberhauser, der ein ausgezeichneter Journalist war, hatte es übrigens mit seinem Interviewstil letztlich übertrieben - angeblich soll es Franz Vranitzky gewesen sein, der nach einer NR-Wahl dafür gesorgt haben soll, dass Oberhauser Sport Chef wurde und damit weg von der Innenpolitik war. Als Informationsintendant versuchte er den Putsch gegen Alexander Wrabetz und zog den Kürzeren. Oberhauser tritt heute nach einem Schlaganfall kürzer und betreibt eine Firma, die mit Senderechten handelt.