Und das Nusserl geht an...

Bekanntlich werden bei der Diagonale die Hauptpreise mit einer goldenen Nuss ausgezeichnet – und bei den Preisträgern der Diagonale 2019 waren einige Überraschungen dabei, zumindest aus Sicht von Wolfgang Ritzberger.

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Diagonale 

Der Hauptpreis für die in Wien lebende Regisseurin Sara Fattahi ist zumindest für mich eine Überraschung, denn die Jury zeichnet damit einen Film als „Besten Spielfilm“ aus, bei dem die Grenzen zwischen dem, was ich als Spielfilm mit einer erkennbaren Handlung und einer Dokumentation, meinetwegen auch einer Spielfilmdokumentation, verstehe, verschwimmen. Fattahi, die in Damaskus Jus studierte und ein Degree des Fine Art Instituts Damaskus hält, zeigt in „Chaos“ drei Frauen, die mit den seelischen Wunden, die ihnen der Krieg geschlagen hat, an unterschiedlichen Orten auf unterschiedliche Art umgehen.

 

Der Film spielt in Syrien, in Schweden und in Wien, wobei die Frau in Wien offensichtlich die Regisseurin selbst sein soll. Fattahi fotografierte den Film selbst, die Produktionsfirma Little Magnet Film, die derzeit Hubert Saupers neueste Dokumentation „Epicentro“ fertig stellt, bekam in Österreich die „kleinen“ Förderungen des Bundeskanzleramtes und der Stadt Wien und Mittel aus einigen Fonds im nahen Osten. In Locarno wurde „Chaos“ mit dem Goldenen Leoparden in der Sektion der zeitgenössischen Filmemacher, „Cineasti del Presente“, ausgezeichnet.

 

„The Remains – Nach der Odyssee“ war auch aus meiner Sicht durchaus eine Option für die Auszeichnung „Bester österreichischer Dokumentarfilm“. Die Regisseurin Nathalie Borgers ist keine Unbekannte. Geboren in Belgien, lebt sie seit 2009 in Wien und engagiert sich im Vorstand von dok.at. Ihre Dokumentation eröffnet uns eine Perspektive der oft zitierten Mittelmeeroute, die in der öffentlich geführten Diskussion nicht vorkommt. Den Blick auf die Zeit danach, den Blick auf die Opfer und auf diejenigen, die zwar lebend wieder an Land sind, das Erlebte aber noch lange nicht überlebt haben. Auf der Insel Lesbos folgt sie engagierten Helferinnen und Helfern, die die Ertrunkenen bergen und sich um eine würdevolle Bestattung bemühen. In Wien zeigt sie eine syrische Familie, die während der Flucht 13 Angehörige im Meer verloren hat und verzweifelt nach ihnen sucht. Ähnlich der „Baulichen Maßnahme“ von Nikolaus Geyrhalter, nur um die tragische Dimension des Todes ergänzt, werden hier politische Sprechblasen auf eine erschreckende Weise lebendig und real. Jurybegründung (Auszug): „Der Film schildert eindrücklich und kinematographisch überzeugend den Schmerz einer Familie vor dem Hintergrund einer der größten humanitären Katastrophen der Gegenwart.“

 

Für Klemens Hufnagl ist das heuer schon der zweite österreichische Preis, nachdem er für seine Kameraführung im Spielfilm „Die Einsiedler“ mit dem Österreichischen Filmpreis ausgezeichnet wurde. Mit ähnlich ruhigen Einstellungen erzählt er in „Bewegungen eines nahen Bergs“ Sebastian Brameshubers Geschichte über Cliff, der nahe dem Erzberg sein Exportgeschäft für alte Autoteile und Gebrauchtwagen, vorzugsweise mit seiner alten Heimat Nigeria, betreibt. Sebastian Brameshuber: „Cliff führt eine Existenz am Rand des kapitalistischen Systems und des Welthandels, wo deren Widersprüche und Grenzen offensichtlich werden, wo jedoch die gewaltige Anziehungskraft, die von deren Zentrum ausgeht, immer noch die bestimmende Kraft ist.“ Interessant, dass auch hier die Grenze zwischen Spielfilm und Dokumentation verschwimmt, der Katalog zur Diagonale nennt es selbst ein Spiel zwischen Fiktion und Doku.

 

In der Dokumentation „Sie ist der andere Blick“ versammelt Christiana Perschon die Künstlerinnen Renate Bertlmann, Linda Christanell, Lore Heuermann, Karin Mack, Margot Pilz und Iris Dostal in ihrem Atelier und gestaltet mit ihnen, zum Teil auf 16 mm Schwarz-Weiß-Film eine Kollaboration zwischen der Filmemacherin und den bildenden Künstlerinnen, die in den 70ern Teil der Avantgarde und der Frauenbewegung waren. „Die Filmstruktur entwickelt sich aus der Begegnung mit den Künstlerinnen und ihren in den 70er Jahren entstandenen Werken: ein Aufeinandertreffen verschiedener Medien, Bildsprachen und Blickwinkel. In meiner Kamera- und Montagearbeit geht es immer um Dialog, das Dazwischen und die Rolle der Kamera als Akteurin im Moment der Aufnahme,“ erklärt Perschon, die den Film nicht nur selbst fotografierte - dafür wurde sie auf der Diagonale ausgezeichnet -, sie führte auch Regie, gestaltete das Szenenbild, hat ihn geschnitten und produziert. Auch das ist übrigens ein Film ohne große Förderungen. „Sie ist der andere Blick“ feierte seine Weltpremiere im Rahmen der Viennale und kommt ab 9. Mai in die Kinos.

 

Arthur Summereder wurde mit dem Preis „Beste künstlerische Montage Dokumentarfilm“ für „Die Tage wie das Jahr“, ein Film von Othmar Schmiderer, ausgezeichnet. Schmiderer begleitet Gottfried und Elfie bei ihrem Alltag auf einem bewusst klein gehaltenen landwirtschaftlichen Betrieb im Waldviertel. Die beiden betrachten ihre Tiere als Lebewesen und den Boden als eigenen Kosmos. Der Film führt ohne erklärende Kommentare die gängige ressourcenzerstörende Praxis des Landwirtschaftens ad absurdum und zeigt, dass es auch anders geht.  Schmiderer: „Es war mir wichtig, eine dokumentarische Darstellungsform zu finden, die diese Themen erneut aufgreift und vertieft. Ich möchte über den realisierten Lebenstraum von einem weitgehend autonomen Leben im Einklang mit der Natur und den eigenen Überzeugungen erzählen.“

 

Christian Frosch, letztes Jahr mit seinem Spielfilm über den Fall Murer nicht nur Eröffnungsfilm, sondern auch bester Film auf der Diagonale, der im Jänner zudem mit dem Österreichischen Filmpreis „Bester Film“ ausgezeichnet wurde, erhielt auf der diesjährigen Diagonale auch den Thomas Pluch Drehbuchpreis (Hauptpreis) – ein bemerkenswerter Hattrick. Den Franz Grabner Preis bekam, eine Auszeichnung mehr, Ruth Beckermanns „Waldheims Walzer“ sowie Karin Berghammer und Krisztina Kerekes für ihre TVDokumentation „Leben für den Tod – Menschen am Zentralfriedhof“.

 

Ebenfalls ein klein wenig abseits vom bisher Geübten, die Verleihung der Preise für „Innovative Produktionsleistung“, die traditionell an den oder die Filme mit den besten Zuseherzahlen im vorangegangenen Jahr vergeben werden. Mit Eva Spreitzhofers „Womit haben wir das verdient“ folgt die Verleihung dieser Usance, mit dem kleinen Neben- aspekt, dass Mona Film damit der Umstieg vom TV-Produzenten in Richtung Kinospielfilm gelungen ist – bei dem etwas besser in den Kinocharts gelegenen Film „Arthur & Claire“ war Mona Film „nur“ minoritärer Ko-Produzent. Die ebenfalls in dieser Kategorie ausgezeichnete Dokumentation „Manaslu – Berg der Seelen“ der Produktionsfirma Planet Watch liegt allerdings in den Kinocharts deutlich hinter „The Green Lie“ von Werner Boote. Eventuell, wie erwähnt, bahnt sich auch hier ein Abgehen von bisher geübten Usancen ab.

 

Zwei Auszeichnungen für „Angelo“ gingen an Pia Dumont für „Bestes Sounddesign Spielfilm“ und an Andreas Sobotka und Martin Reiter für„Bestes Szenenbild“. Ebenfalls zwei Preise gingen an „JOY“: Carola Pizzini für „Bestes Kostümbild“ und der Schauspielpreis für einen bemerkenswerten Auftritt einer österreichischen Schauspielerin an Joy Alphonsus.