Meine Nase ist enorm!

Anfang April feierte beim 21. Festival du Film Francophone im Votiv Kino Wien unter anderem „Edmond“, der Film nach dem gleichnamigen Erfolgstheaterstück von Alexis Michalik, der hier als Filmregisseur sein Debut ablieferte, seine Österreich-Premiere. Michael Viger, sein engster Mitarbeiter am Set, kommt aus Wien. Wolfgang Ritzberger bat ihn zum Gespräch.

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Edmond  Michael Viger 

Das meistgespielte Theaterstück Frankreichs hat nicht nur Theatergeschichte geschrieben, es wurde auch mehrfach verfilmt: Cyrano de Bergerac, an dem sich viele Größen der Schauspielkunst versucht haben, auf den Brettern, die die Welt bedeuten und im Film. Nicht nur in Frankreich, wo Gérard Depardieus Darstellung des Cyrano im Film (der 1990 erschienene Film war nominiert für fünf Oscars, auch Depardieu selbst, ausgezeichnet wurde er mit einem Oscar für das beste Kostüm) sicher am nachhaltigsten in Erinnerung blieb, auf deutschen Bühnen sind es wohl die Verkörperungen des Cyrano durch Klaus Maria Brandauer am Burgtheater oder Boy Gobert am Thalia Theater Hamburg.

 

Alexis Michalik erzählt in seinem Bühnenstück die Entstehung des Cyrano als flotte Komödie, und ähnlich dem Cyrano wird Edmond in dem Stück für einen befreundeten Schauspieler zum Poeten für eine gemeinsame Geliebte, die sich dann aber als Edmonds ganz persönliche Muse für das Stück herausstellt. Gegen alle Wiederstände, und zwar wirklich alle, wird der Cyrano ein Erfolg. Das Theaterstück über das Entstehen eines Theaterstücks war und ist in Frankreich ebenfalls ein großer Erfolg. Michalik wurde mit einem Schlag zu einem gefeierten Theaterregisseur, neben „Edmond“ hat er vier weitere sehr erfolgreiche Theaterstücke in seiner Heimat auf die Bühne gebracht. Trotz der Kritik, denn die Puristen unter den Literaturfans wollten es nicht hinnehmen, dass Edmond Rostand und die Entstehungsgeschichte des Cyrano zum Gegenstand einer fast völlig frei erfundenen Komödie wurden, in der so gut wie nichts der historischen Wahrheit entspricht. Dem Theaterpublikum war das gleich, der Film hatte in Frankreich zwar mehr als 500.000 Besucher (Kinostart Jänner), blieb aber aus Sicht der Produzenten hinter den Erwartungen zurück.

 

Als erster Regieassistent war an dem Projekt Michael Viger beteiligt, der auf eine erfolgreiche Karriere als Regieassistent und Regisseur zurückblicken kann. Er hat mit den Großen des französischen Kinos zusammengearbeitet, und auf den ersten Blick sieht man ihm nicht an, dass er österreichischer Staatsbürger, dass er Wiener ist. Sein Vater, ein französischer Filmkomponist, seine Mutter kommt aus einer Wiener Unternehmerfamilie (das Modegeschäft „Brieftaube“ am Graben in der Innenstadt ist vielleicht noch ein Begriff), und Michael wuchs hauptsächlich in Frankreich auf. Heute lebt er mit seinem Sohn wieder in Wien, pendelt zwischen Dreharbeiten in Frankreich und Belgien und bereitet seinen ersten Spielfilm in Österreich als Regisseur vor. Und weil wir es mit den Compliance-Regeln sehr genau halten: Der Autor dieser Zeilen ist als Produzent und Drehbuchautor in diesen Spielfilm ebenfalls involviert.

 

Wieder zurück zu „Edmond“, der letztes Jahr in Prag gedreht wurde. Das Tax-Shelter-Modell und das weitaus günstigere Preisniveau, die sich vor allem bei Massenszenen und historischen Kostümfilmen dramatisch auswirken, machen Prag für internationale Produktionen sehr attraktiv. Bei „Edmond“ waren es nicht nur die Kostüme, sondern auch die große Zahl an Statisten, die etwa für die Szenen im Theater notwendig waren. Und Prag lässt sich hervorragend als Paris des Fin de Siècle verkaufen, die Bezirke unterhalb des Hradschin und die vielen Gebäude in der Stadt stehen seit der Monarchie unbeschädigt und mittlerweile auch frisch renoviert voll im Leben.

 

Du wirst in den Credits von „Edmond“ mit einem Einzelcredit als 1. Assistant Réalisateur sehr weit vorne genannt. Ist das mehr, als wir in Österreich unter „Regieassistent“ verstehen?

 

Michael Viger: In Frankreich ist der Assistent ein Mitarbeiter im Regie-Department, der von Beginn an dabei ist. Er ist bei der Umsetzung des Drehbuchs in fast allen Phasen beteiligt. Vom Design über die Farben und die Deko bis zu den Drehplänen. Wir sind nicht so eigenständig wie zum Beispiel die Engländer oder die Amerikaner, sondern sehr eng mit dem Regisseur verbunden. Aber doch eigenständiger als ein Assistent. Bei „Edmond“ war ich auch 2nd Unit Director. Alexis ist ein wunderbarer junger Regisseur, mit dem ich für seinen ersten Spielfilm sehr gerne zusammengearbeitet habe und meine ganze Erfahrung mit einbringen konnte.

 

Der Regisseur von „Edmond“ hat sein erfolgreiches Theaterstück verfilmt, es war sein erster Spielfilm - arbeitest du öfter an der Seite von eher unerfahrenen Regisseuren?

 

Ich habe das Glück einer langen und erfolgreichen Karriere, in der ich mit großen Regisseuren wie Henri Verneuil, Sally Potter, Florent Emilio Siri und Randall Wallace zusammengearbeitet habe. Von ihnen habe ich zum Beispiel die Wichtigkeit einer genauen Vorbereitung gelernt. Oder das Magische beim Entstehen einer Szene, bei der Arbeit mit Schauspielern das Vergnügen, aus einer Idee Realität werden zu lassen, erlebt. Wenn du als Assistant Réalisateur mit einem jungen Regisseur zusammenarbeitest, erwartet der Produzent, aber auch der Regisseur, dass du deine Erfahrungen einbringst. Deshalb suchen sie ja jemanden mit Erfahrung.

 

In Wien war auch Ludovic Bernard mit seinem neuen Film beim Festival vertreten, auch er war sehr lange als erster Regieassistent unterwegs. Kennt ihr einander?

 

Ludovic war ein großartiger Assistent, er hat sehr lange für Luc Besson gearbeitet. Dank Besson hatte er die Möglichkeit, seine ersten Regiearbeiten zu machen. Mich hat das sehr gefreut, weil er großes Talent hat und ich seine Filme sehr mag. Allerdings kennen wir einander nicht persönlich, wir sind einander noch nicht begegnet, aber wir hätten einander sicher viel zu erzählen.

 

Ein wenig seid ihr also Konkurrenten, auch jetzt, wenn es um die Regie geht? 

 

Nicht wirklich, wir haben beide als erste Regieassistenten auf einer Ebene gearbeitet, wo es nicht mehr viele gibt. Und wir nehmen beide die Chance wahr, selbst Regie zu führen. Aber unsere Stile unterscheiden sich doch voneinander, und das Spektrum ist glücklicherweise sehr breit, also ist Platz für uns beide.

 

Das französische Kino ist auf einem Starsystem aufgebaut - wer bestimmte Stars bekommt, kann um die besseren Förderungen ansuchen. Ist das sinnvoll? 

 

Leider existiert dieses System schon sehr lange, und es bedeutet, eine gute Geschichte ist nicht genug. Um einen Film zu finanzieren und zum Beispiel große Fernsehsender mit an Bord zu bekommen, braucht es einen prominenten Cast. Glücklicherweise haben wir in Frankreich und Europa großartige Schauspieler. Aber es bedeutet leider auch, dass wir Neuankömmlingen und neuen Gesichtern nicht genügend Chancen geben können. Es ist auch unsere Aufgabe, neue Talente zu entdecken, einen neuen Dépardieu, einen neuen Belmondo, einen neuen Kinski zu finden.

 

Für Österreicher sieht Frankreich wie das Paradies aus: eine Quote, es müssen ja mindestens 30 Prozent französische Filme gespielt werden, weitaus mehr Geld in den Fördertöpfen und ein Publikum, das gerne ins Kino geht. Letztes Jahr sind die Besucherzahlen in Frankreich gestiegen - im Gegensatz zu Österreich. 

 

In den letzten Jahren lagen die Besucherzahlen in Frankreich bei rund 200 Millionen Besuchern pro Jahr, es ist zweifellos der beste Filmmarkt in Europa. Das heißt auch, dass jeder Franzose statistisch gesehen fast drei Mal pro Jahr ins Kino geht. Filmkultur war schon immer Teil der französischen Freizeitbeschäftigung. Ob in Krisenzeiten oder in Zeiten der Konjunktur, die Franzosen lachen, weinen und meckern, aber sie gehen ins Kino - und lachen und weinen und meckern dann im und über das Kino. Das Kino in Frankreich hat sich auch gut entwickeln können, natürlich mit Einflüssen aus Übersee und dem asiatischen Kino.

 

Du bist, was die wenigsten wissen, österreichischer Staatsbürger, aber in Frankreich aufgewachsen und daher eher eine französische „Erscheinung“. Bist du in beiden Welten zu Hause? 

 

Um ganz ehrlich zu sein, ich fühle mich in Frankreich nicht mehr zu Hause als in Österreich, denn ich bin dort daheim, wo ich mich gut fühle. Ich bin zwischen Wien und Paris aufgewachsen und liebe beide Kulturen, beide Geschichten, die von Kunst geprägt sind. Ich liebe und lebe aber auch die Konflikte, die uns erschüttert und getrennt haben. Heute habe ich den Wunsch, Kino zu machen und meine ganze Erfahrung als Filmemacher einzubringen.

 

In welcher Welt lebst du derzeit mehr? 

 

In Österreich habe ich Liebe und Frieden wieder gefunden. Es ist ein Land mit einem enormen Potenzial, und ich betrachte es als Privileg, hier meinen ersten Spielfilm drehen zu können.

 

Deine Eltern leben in Marokko, auch eine Variante, sich zu Hause zu fühlen, oder? 

 

Marokko ist Teil der Geschichte Frankreichs. Nordafrikaner haben immer noch diese extrem starke Verbindung zu Frankreich, Französisch ist immer noch ihre Zweitsprache. Mein leidenschaftliches Interesse spiegelt sich auch in einem Drehbuch wider, das die außergewöhnliche Geschichte, die zum Beispiel Algerien mit Frankreich hat, thematisiert. Natürlich besuche ich meine Eltern dort sehr gerne und fühle mich auch bei ihnen wohl, aber es ist für mich immer auch eine Begegnung mit der Geschichte Frankreichs.

 

Frankreich gilt auch als Erfinder der großen Küche, der großartigen Rotweine, von Baguette und Croissant - vermisst man das als „Franzose“? 

 

Darf ich ein wenig poetisch werden? Küche und Wein sind die goldene Linie des Epikureismus. Es liegt in unseren Genen, und dieses Streben nach Vergnügen spiegelt sich in allem wider, was ich tue. Ich male, ich mache Musik, ich schreibe und ich mache Filme. Alles geht durch den Bauch. Jedes Gefühl muss verdaut und gespürt werden. Kochen ist die Geschichte, Wein ist der Duft eines Films, ein wunderbarer Cocktail, der elegant und fein ausbalanciert sein muss, um den Zuschauer mit unserem Wissen als Koch die Sinne zu berauschen.

 

Was kennst du vom österreichischen Film?

 

Als Kind habe ich mit meinen Großeltern in Wien gefühlt alle österreichischen Filme mit dem wunderbaren Hans Moser gesehen. Ich sah dort ein großartiges Know-how in den Bereichen Rhythmus, Musik, Komödie und Inszenierung. Diese Sensibilität, so ist mein Eindruck, hat sich zu einem härteren und realistischeren Kino entwickelt. Haneke ist natürlich ein großartiger internationaler Regisseur, wir waren mehrmals im Gespräch über eine Zusammenarbeit, aber leider hat es aus Zeitgründen nie geklappt, was ich sehr bedaure. Ich habe viel über das neue österreichische Kino von Karl Markovics bis Stefan Ruzowitzky gelernt und finde es sehr interessant.

 

Derzeit pendelst du zwischen Wien und Brüssel, weil du als erster Regieassistent für einen Film von Marc Fitoussi engagiert bist. Im Mai wird in Wien gedreht, wovon handelt der Film?

 

Wir drehen einen klassischen französischen Film. Ein sozialer Thriller, der in der französischen Community in Wien spielt. Das Ehepaar Eve und Henri hat alles, worüber man sich freuen kann. Er ist ein angesehener Dirigent, sie arbeitet am Institut Français. Ein Leben scheinbar ohne falsche Töne, bis zu dem Tag, an dem Henri dem Charme der Lehrerin seines Sohnes erliegt. Eve lässt sich daraufhin mit einem jungen Österreicher auf eine Affäre ein, aber aus der französischen Beziehungskomödie wird plötzlich ein Thriller.

 

Wo wird gedreht? 

 

Da der Film mit belgischem Geld kofinanziert wird, drehen wir sehr viele Innenszenen in Brüssel, aber die Außeneinstellungen werden wir Mitte Mai in Wien drehen. Eine Rolle spielt auch die MS Stadt Wien, ein Schaufelraddampfer der alten DDSG, der heute in Privatbesitz immer noch als Ausflugsschiff auf der Donau fährt, und der Showdown wird im Kuchelauer Hafen gedreht. Aber wir werden auch beim Burgtheater, im Cafe Sluka und auf etlichen weiteren Plätzen in Wien filmen. Wir würden gerne mehr in Wien drehen, aber Belgien hat ein sehr attraktives Finanzierungsmodell, dass die Produktion natürlich nützt.

 

Was hat dich am meisten geprägt? Dein Vater ist ja als Filmkomponist in Frankreich sehr bekannt, du bist also damit aufgewachsen? 

 

Ich erinnere mich noch sehr gut, dass ich als Kind meinen Vater zu Aufnahmen in ein altes Theater im Herzen von Paris begleitet habe. Ich habe es geliebt, mich im Hinterzimmer des leeren Theaters ganz alleine zu beschäftigen. Denn das Theater war für mich gefüllt mit Geistern und wunderbaren Geschichten. Ich habe in meiner Fantasie unglaubliche Welten geschaffen, ohne jegliche Grenzen, nur dank meiner Vorstellungskraft. Meine Familie hat mir diese Liebe zur Musik, zur Malerei und zum Kino mitgegeben, ich bin sehr glücklich, malen, Musik spielen und Filme machen zu können. Es ist kein Zufall, dass ich in Österreich Produzenten getroffen habe, die den gleichen Wunsch haben: Geschichten zu erzählen und wunderbares, großes Kino zu machen.