Im anschließenden Small-Talk zeigten sich natürlich zahlreiche Gäste begeistert, es klang ja vielversprechend, oder? Auf unsere Interviewanfrage meldete sich das Büro der Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler, die seit Mai 2018 im Amt ist. Das Rathaus ist schon beeindruckend. In der Etage, in der auch der Bürgermeister residiert, hat die Stadträtin für Kultur und Wissenschaft ihr Büro, in das locker mehrere Wohnungen aus einem der Gemeindebauten des „roten Wien“, etwa dem Karl-Marx-Hof, passen würden. Veronica Kaup-Hasler empfängt mich persönlich und lässt nicht etwa bitten. Ich erlebe sie genauso, wie sie oft beschrieben wird: charmant, kunstsinnig und, wenn ihr etwas wichtig ist, dann leidet das Terminsekretariat. Das Interview dauert jedenfalls etliches länger, die Kollegin aus dem Vorzimmer musste mehrmals intervenieren.
Kaup-Hasler ist, wie sie selbst betont, keine Künstlerin, sondern war immer im Management in leitender Funktion, tätig. Zunächst als Dramaturgin in Basel und bei den Wiener Festwochen und später als künstlerische Mitarbeiterin des Schauspieldirektors Luc Bondy. 2004 wurde sie zur Intendantin des „steirischen Herbst“ bestellt. Mit einer Amtszeit von 12 Jahren war sie die längstdienende geschäftsführende Intendantin, unter ihrer Leitung hat der „steirische Herbst“ auch außerhalb der Steiermark internationale Kooperationen gesucht. Mit „Die Kinder der Toten“, einer künstlerischen Adaption des gleichnamigen Stücks von Elfriede Jelinek durch eine Theatergruppe aus den USA, realisierte sie nicht nur das größte Projekt des „steirischen Herbst“, sondern erreichte damit auch internationale Aufmerksamkeit. Der aus der Performance entstandene Super 8-Film wurde bei den diesjährigen Filmfestspielen Berlin mit dem Preis der internationalen Kritik ausgezeichnet.
Die größte Baustelle, mit der sie als Kulturstadträtin zur Zeit in Wien konfrontiert ist, ist das chronisch unterdotierte Volkstheater. Renovierungsbedürftig dürfte nicht nur das Haus selbst, sondern auch das Konzept des Theaters sein, das es nicht leicht haben wird, sich neben dem Burgtheater unter Martin Kusej, der im Herbst seine Direktion antritt, zu positionieren. Kaup-Hasler zeigte hier originelle und ungewohnte Zugänge, als sie letztes Jahr ankündigte, täglich um 8 Uhr früh im Café Eiles für Gespräche über das Volkstheater zur Verfügung zu stehen. Im Dezember erwähnte sie in einem Interview, dass sogar die ehemalige Direktorin Emmy Werner gekommen sei und ein sehr radikales Konzept vertreten habe.
In Sachen Film fällt ihr nun die Wortmeldung ihres Chefs in den Schoß; schon wenige Tage später bei der Pressekonferenz der Vienna Film Commission meinte sie, sie würde gerne mehr machen, dafür müsste aber auch der Bund mitspielen. Eine konkrete Maßnahme hatte sie damals aber bereits gesetzt: Die ursprüngliche Initialbedingung für eine Förderung durch den Wiener Filmfonds, in den letzten drei Jahren einen Film ähnlicher Größenordnung produziert zu haben, ist aus den Richtlinien verschwunden.
Von außen betrachtet könnte man sagen, der Wiener Filmfonds ist die größte regionale Standortförderung. Was kann man da noch verbessern?
Veronica Kaup-Hasler: Man kann strukturell immer etwas verbessern. Der Bürgermeister hat sich aus einer großen Begeisterung für das, was der Filmstandort Wien bedeutet, und auch über die Haltung der Filmschaffenden beim Filmpreis dazu bekannt, diesen Filmstandort weiter zu stärken. Dabei geht es auch darum, auf unsere Stärken zu setzen - um die künstlerische Handschrift, um Perspektive des Films in seiner Bandbreite. Internationale Berühmtheit haben Filme von Kurt Krenn bis Peter Kubelka erlangt. Wir haben eine starke experimentelle Filmtradition und einen starken Autorenfilm von Michael Haneke, Ulrich Seidl, Veronika Franz und Jessica Hausner bis hin zu Tizza Covi und Rainer Frimmel, Nikolaus Geyrhalter und vielen anderen. Aber auch der Dokumentarfilm hat hier eine große Kraft. Das ist ein ganz großes Asset, das wir uns erhalten müssen. Ich kämpfe jedenfalls für ein höheres Budget, und je nachdem, wie hoch es wird, wird es sich selbstverständlich auch in der Filmförderung niederschlagen.
Für 2019 haben Sie eine Budgeterhöhung von mehr als 30 Millionen im Kulturbereich der Stadt Wien durchgesetzt. Davon ging aber ein Großteil an das Wien Museum.
Es waren rund 35 Millionen, die ich aber so nicht durchsetzen musste, da 28 Millionen bereits für die Sanierung des Wien Museums vorgesehen waren. Letztendlich waren es einige Millionen mehr, die wir in diesem Jahr ausgeben können.
Davon sind aber keine zehn Prozent beim Film angekommen.
Wir haben die kleine Filmförderung erhöht und werden die Standortförderung für Kinos in Angriffnehmen. Man muss sich ja - wie eine Ärztin - erst mal ein Gesamtbild machen, die kulturelle Landschaft anschauen, schauen, wo es am meisten brennt, wo dringende Sanierungen zuerst nötig sind. Und die kulturelle Landschaft ist groß, es wurde aus meiner Sicht zu lange zu wenig getan. Da gibt es sehr viele Stellschrauben, an denen man erstmal drehen muss. Aber ich hoffe, dieser Weg der Konsolidierung - letztendlich müssen wir ja Dinge aufholen – funktioniert.
Damit machen Sie aber ein Riesenfass auf. Es ist ja auch eine politische Entscheidung, wo man zuerst an den Schrauben dreht. Bei den freien Gruppen oder bei den großen Theatern ...
Da gibt es kollektivvertragliche Bestimmungen, die das Gesetz vorschreibt. Insofern ist man hier gebunden.
Die hat der Film auch. Es ist eine politische Entscheidung: Findet eine gewisse Form von darstellender Kunst, Theater, bildender Kunst nicht statt oder findet eine gewisse Form von Film nicht statt? Überall, wo Steuergeld im Spiel ist, wird kontrolliert und sollte, zumindest im großen Rahmen, eine Bezahlung nach Kollektivvertrag verpflichtend sein.
Die Filmwirtschaft ist ganz anders strukturiert als der freie Sektor. Bei den vielen Gesprächen, die ich mit der Filmwirtschaft hatte, haben viele - gerade im dokumentarischen Bereich, aber auch in anderen Bereichen – erzählt, dass es für sie fast ein Hemmnis sei, keine kleineren Projekte mehr realisieren zu können. Müssten sie das regulär bezahlen, würde sich das nicht mehr ausgehen. Da muss man sich sukzessive genauer ansehen, was das innerhalb der unterschiedlichen künstlerischen Bereiche, aber auch in den verschiedenen cinematografischen Ausdrucksformen jeweils bedeutet. Was heißt faire Bezahlung, was heißt es konkret, gute Arbeitsbedingungen zu schaffen. Wo ich Bedarf sehe, ist die Ausstattung für Filme mittlerer Größe, die wohl oftmals sehr schwer zu finanzieren sind.
Es bleibt dennoch eine politische Entscheidung, was zuerst in Angriff genommen werden soll. Und wenn ich Sie richtig verstehe, wollen Sie bei der Filmförderung selektiv vorgehen. Also Film ist nicht gleich Film?
Filme, die auch vom Bund und dem ORF gefördert werden, haben es leichter.. Das österreichische Film- und Fernsehabkommen ist daher wichtig. Es geht aber auch darum, nicht erst um 2 Uhr früh, sondern im Hauptprogramm österreichische Filme zu zeigen, damit sie auch ein Publikum erreichen.
Die Filmschaffenden, die Sie eingangs erwähnt haben, haben im Kino allerdings eine sehr überschaubare Resonanz gefunden und werden im Fernsehen sicher als Quotenkiller angesehen. Was auch in der Art ihrer Filme liegen dürfte.
Auch Film ist eine Kunstform, die sich beweisen muss. Aber ich glaube, dass Filmkunst auch eine Frage des Promotens ist. Gleichzeitig haben wir ja auch herausragende Dokumentarfilme, die ein breites Publikum erreichen. Zum Beispiel Nikolaus Geyrhalter, Michael Glawogger oder Georg Riha mit seinen Vogelperspektiven und viele andere. Wir haben ein großes, breites Setting, nehmen Sie die Murnberger-Haas-Filme, mit tollen österreichischen Inhalten, großartigen Schauspielern, die bei der breiten Masse ankommen und ökonomisch erfolgreich sind.
Bei den Dokumentationen muss man allerdings die Frage stellen, ob nicht die eine oder andere eher vom öffentlich-rechtlichen Fernsehen hätte gemacht werden sollen. Sie nennen eine Fülle an eher im Arthouse-Bereich angesiedelten Filmschaffenden. Aber nichteinmal die genannten Murnberger-Filme oder der Publikumsmagnet Josef Hader verdienen die Produktionskosten auch nur annähernd in der Auswertung. Welche Filme sieht die ehemalige Intendantin des „Steirischen Herbstes“?
Ich bin eine große Cineastin – und habe hier nur einige herausgegriffen, die mir jetzt gerade präsent sind. (Wenn Sie mir Zeit geben, fallen mir noch viele ein, die mir wichtig sind). Aber eine der Fragen ist ja, was grundsätzlich gefördert werden soll? Soll die Förderung von der Quantifizierbarkeit durch ein Publikum abhängig gemacht werden oder soll gefördert werden, was eine gewisse Notwendigkeit hat? Und ist die Frage der Distribution nicht noch eine andere? Ich möchte ein möglichst breites filmisches Schaffen, das ist mir ganz wichtig. Ich maße mir nicht an, immer zu wissen, was dabei heraus kommt. Ich denke, dass man mehr Zeit investieren muss in die Vorarbeit, also noch vor Beginn der Dreharbeiten. Aber würden wir nur das quantifizierende Modell anwenden, gäbe es die größten Filme der Filmgeschichte wahrscheinlich nicht. Wir hätten keine Agnes Varda, wir hätten so viele Filmer nicht, wenn wir uns ausschließlich am breiten Geschmack orientiert hätten. Andererseits wurden mit Preisen der Öffentlichkeit völlig unbekannte Filmemacher erst ins Bewusstsein gerufen. Und es ist auch sehr wichtig, mit laufenden Bildern wichtige Geschichten zu erzählen. Dass der Film auch eine Kunstform ist, dazu bekenne ich mich. Ich finde es daher wichtig, die bestmöglichen Bedingungen für die Filmwirtschaft zu schaffen. Allerdings sind da sehr unterschiedliche Interessen am Werk. Man fördert, auch, weil es einen größeren Echoraum braucht. Den müssen wir schaffen.
Gibt es einen österreichischen Film, der es kommerziell leicht hatte?
Die „Wilde Maus“ wäre ein Beispiel. Aber wir sind nicht in Amerika. Die Kosten mehrfach einzuspielen, hat nur eine gigantomanische Filmindustrie geschafft. Aber ich meine ja nicht, dass sie sich selbst finanzieren. Ich möchte in einer sehr schwierigen Gemengelage an Interessen einen möglichst gerechten Weg finden, einen möglichst unkorrumpierten Blick auf eine Landschaft mit all ihren Befindlichkeiten ermöglichen. Das Wichtigste im Moment sind eigentlich permanente Gespräche, um die Bedürfnisse erst einmal abzustecken und herauszufinden, wo es strukturell besonders dringend ist, jetzt etwas zu ändern. Wo kann ich schnell etwas bewirken, wie bei dieser Regelung in den Richtlinien des Filmfonds, deren Änderung mit einem Schlag für viele vieles erleichtert hat.
Was Förder- und Entscheidungsmechanismen betrifft, sollen diese Entscheidungen aus der Branche heraus getroffen werden?
Ich komme nicht aus dem Film, ich versuche aber, mich hineinzuhören, mit unterschiedlichsten Experten aus dem Feld zu sprechen, um mir ein Bild zu machen von diesem großen Puzzle, das sehr erratisch ist und sich auch nicht immer einfach zusammenfügen lässt. Für bestimmte Bereiche der Bewertung möchte ich die Filmschaffenden, die Akteure im kulturellen Feld einbeziehen, sie die eigenen Regulative mitbestimmen lassen. An den Parametern, die für ein bestimmtes Feld gelten, Dokumentarfilm beispielsweise, kann man Qualitäten abmessen. Bei experimenteller Filmkunst gibt es wieder ganz andere Parameter. Wir stehen dazu, dass es auch Genres, die beispielsweise um 2 Uhr früh im ORF kaum Chancen hätten, geben muss, aber mit härteren Auswahlkriterien. Dafür muss man aber auch Budgets reservieren, unterschiedliche Terrains im Film abstecken und im gemeinsamen Dialog diese Regeln festlegen. Das muss man Stück für Stück erforschen und immer wieder abwägen, welche Verbesserungen dadurch erzielt werden können - ein langer Prozess. Wichtig finde ich auch, Fördermechanismen und Modelle, auch in der Höhe der Ausstattung, in anderen Ländern, die für uns beispielgebend sein können, in Betracht zu ziehen.
Derzeit können allerdings aufgrund der Anzahl der Förderanträge und der Höhe der Budgets so wenige Projekte gefördert werden, dass selbst erfahrene Filmschaffende von einer Lotterie sprechen.
Deshalb habe ich mich ja für eine Standortförderung ausgesprochen, denn ich meine, Filme müssen gezeigt werden. Von dem Gedanken, dass die Kinos gewinnbringende Unterhaltungsunternehmen sind, müssen wir uns künftig ein bisschen verabschieden. Ich halte sie aber für Orte der Bildung. Im Grunde müsste man über Kinos nachdenken wie über Museen. Kinos werden zunehmend Museen des laufenden Bildes und sind Orte der Vermittlung von etwas, was in Zeiten des Streamings und dieser Kultur total verloren geht. Wir müssen vor allem die Kinos, die programmatisch etwas wollen, stützen, damit Filme wieder gezeigt werden.
Die Kinos jammern, auch auf der Diagonale war das ein Schwerpunkt.
In Wien plane ich, etwas dazu zu gegeben, ein Tropfen auf dem heißen Stein. Da bin ich auch die einzige mit diesem Vorstoß, aber für mich ist das eine wichtige Stellschraube, die mehr an Distribution möglich macht. Das wäre mein Ziel. Wenn ich weiß, wie hoch das Budget sein wird, geht sicher auch ein Teil an Standorte und Vermittlungsarbeit. Vor 30 Jahren hat es gereicht, wenn ein Kino ein tolles Programm geboten hat. Dieses analoge Gemeinschaftserlebnis, das Teilen eines dunklen Raumes, ist der eigentliche Eros des Kinos. Das muss wieder prickeln. Die Betreiber von Kinos müssen mit kreativen Ideen verstärkt am Publikum arbeiten, wenn das Kino überleben möchte.
Die Wiener Film Commission benötigt Incentives, die vielleicht an ein Punktesystem gebunden sind, bei denen die Vergabe möglichst unbürokratisch erfolgen kann. Ist das etwas, was Sie sich vorstellen könnten?
Ich persönlich fände diese Modelle sinnvoll und gut. Wien bräuchte das, es käme uns ja zugute. Aber da liegt noch ein Weg vor uns, bis sich das als Rentabilitätsdenke durchsetzt. Weil es hier ja vor allem um Steueranreize geht, ist grundsätzlich da der Bund gefordert.
Zum Schlosshotel Orth, das es ja bekanntlich so nicht gibt, pilgern Touristen in Scharen. Oder zu den „Sound-of-Music-Touren“, bei denen es eigentlich gar nichts zu sehen gibt. Ist es wirklich so schwierig, jemanden davon zu überzeugen, dass so etwas für Wien einen Impact hat?
Die Beispiele sind nicht so passend, da es Solitäre sind, von denen es sonst in der Landschaft wenig gibt. Am „Dritten Mann“ kann man das gut zeigen, aber wir wissen, nicht jeder Film, der in Wien gedreht wird, ist der „Dritte Mann“. Aber es versinnbildlicht diesen Fluss an Geld, das lässt sich schon darstellen. Ich werde auch nicht müde werden, das zu vermitteln, da ein starker Filmstandort letztlich der Wiener Filmwirtschaft Renommée, Geld und Arbeitsplätze bringt.
David Mamet sagt seinen Studenten immer: „Be aware of your colleagues“. Und begründet das: Nur ganz wenige von euch werden in die Branche gehen, der Rest beendet das Studium und geht dann in das so genannte Management und entscheidet, ob die wenigen Künstler Geld verdienen dürfen. Eigentlich die Karriere, die auch Sie genommen haben. Haben wir zu wenig Praktiker aus der Branche für solche Funktionen?
Ich konnte immer ganz gut Qualitäten erkennen und dann die richtigen Formate und die richtigen Bedingungen schaffen. Und ich kann gut begleiten. Ich war selbst nie als Künstlerin tätig. Für mich ist das Kuratieren im Sinne von Auswählen, Begleiten und Pflegen ein Beruf. Es ist ein großer Unterschied, ob man Gelder aufstellen, mit Mitarbeitern umgehen kann oder ob man nur der eigenen Kunst verpflichtet ist. Das sind unterschiedliche Berufsfelder. Und ich habe das Gefühl, mit meiner Haltung und Expertise komme ich weiter, mache ich gute Politik. Und ich bin sehr sachorientiert. Es ist nur manchmal unheimlich viel, ich will ja weise Entscheidungen treffen.