Ich weiß, wo man schneidet

Laudatio für Ingrid Koller

Gehalten von Wolfgang Ritzberger am 18. Oktober 2021 beim Edimotion Festival in Köln aus Anlass der Verleihung des Ehrenschnittpreises für ihr Lebenswerk

 

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Kennt hier jemand, Österreicher dürfen nicht mitspielen, den Ostbahn Kurti, samt seiner Chefpartie? Der Ostbahn Kurti ist so in etwa das, was Toni Polster, der hier in Köln bekannter sein dürfte, ist. Nur singt er besser als Toni Polster und spielt viel schlechter Fußball. Wobei ich das Thema Fußball und Österreich und Deutschland jetzt auslassen möchte. Der Ostbahn Kurti singt in einem seiner Lieder: „an Schritt fiere, an Schritt zruck“ was ins Hochdeutsche übersetzt soviel heißt wie: ein Schritt vor, zwei Schritte zurück. Ins Kölsch übersetzt, nun, das trau ich mich fast nicht, nachdem ich heute zwei echten „Kölschen“ zuhören durfte. „En Schredd vörann, zwei zoröckgonn“, oder so ähnlich - oder: an Kader fire, zwa zurück!

So beschreibt „die Koller“ ihre Arbeit, wenn sie von einem Film erzählt, der komplett in die Hose gegangen ist. Ja auch das gibt`s in Ihrem Oeuvre.

Das konkrete Beispiel: Nach dem schier unglaublichen Erfolg der TV Sitcom „2412“ - das vom Amt für Weihnachtsfragen im Wiener Magistrat erzählt - waren alle sicher, daraus einen bombastischen Spielfilm machen zu können. Es kam, wie es dann oft kommen musste - höre ich die Figur des Weihnachtsmannes, der unterm Jahr im Kopierraum der MA 2412 arbeitet, weise analysieren. Es wurde ein fast schon programmierter Flop. Und was für einer! Am Drehbuch durften alle, mittlerweile waren aus den weitgehend unbekannten Darsteller*innen berühmte Kabarettistinnen und Kabarettisten geworden, mitarbeiten. Auch der Regisseur, Garant für Box Office Rekorde in Österreich, trug seinen Teil bei - beim Drehen müssen alle eine Mordsgaudi gehabt haben! Aber schon beim Schnitt war das erste Wetterleuchten deutlich zu sehen. Der knappe Kommentar der Koller: „Es war ein ständiges hin und her mit dem Regisseur, einen Kader vor, zwei wieder zurück.“

Und letztlich griff auch hier die alte Tonmeisterregel: Shit in, shit out - das Mischpult ist keine Kläranlage, im übertragenen Sinne gilt das auch für einen Avid. Der Film floppte, wenn auch auf hohem Niveau. Zwei Wochenenden stürmte das Publikum die Kassen, dann wars rum, dass der Film in die Hose gegangen war und der Ansturm vorbei.

Und mit 2412 verbindet man in Österreich mittlerweile die auch heute noch köstliche TV Sitcom … und weniger den Spielf … gab`s da überhaupt einen Spielfilm?

Im Paarlauf mit Harald Sicheritz, dem Regisseur, setzte die Koller mehrere Meilensteine des österreichischen Kinos: „Hinterholz 8“ zum Beispiel, der hier heute Vormittag gezeigt wurde. Übrigens mit Walter Kindler, Ingrids Ehemann, als DoP - die beiden als k.u.k. Filmschaffenden (k.u.k. steht für Koller und Kindler), bilden in Österreich so etwas wie den Hochadel der Filmindustrie. Fast schon logisch, dass die beiden Besten sich auch privat zusammengetan haben. Persönlich möchte ich hinzufügen, dass die Zusammenarbeit der beiden auch in keiner anderen Konstellation möglich wäre. Versucht mal daran zu denken, wer dann am Schneidetisch an den unbrauchbaren Aufnahmen meist schuld ist? Der Regisseur, eher nein, der Oberbeleuchter, selten, der Typ vom Catering … ja genau. Die beiden sind sich allerdings in diesem Punkt einig: die Koller stellt dazu fest, der Walter Kindler macht keine schlechten Aufnahmen. Und aus.

So, den Rest der Filmografie kann ich mir ersparen, findet man ohnehin in der Festschrift, daher, es ist ja eine Laudatio, die ich hier halten soll. Also, wie kann man die Koller loben?

Nicht oft genug - geschenkt - das war klar.

Vielleicht ist sie deshalb zu loben, weil sie im Stande ist, ihre Ideen und Vorstellungen durchaus prägnant zu formulieren und dann auch noch zu argumentieren - sollte irgend ein Regisseur, der darf ja noch, oder gar Produzent (an dieser Stelle habe ich bei der Rede ein wenig gelacht), oder TV Redakteur (an dieser Stelle habe ich bei der Rede deutlich lauter gelacht), wagen an ihren Ideen und Vorstellungen, meist schon in einen Rohschnitt gegossen, zu zweifeln, also zu meckern, motschkern oder madig machen, wird er sofort bestraft. Zweifeln darf man. Vorausgesetzt man lässt sich bekehren und kehrt zum wahren Glauben an Sie, die Koller, wieder brav zurück. Wer auf seinem Irrtum beharrt, also meckert, motschkert und so weiter, wird der Höchststrafe zugeführt. Sie macht das, was er sagt! Darin ähnelt sie den Wiener Philharmonikern, die als Höchststrafe für einen Dirigenten, der versucht sich gegen das Orchester zu verwirklichen, vorgesehen haben, das zu spielen, was er dirigiert. Nun, beides ist eine Androhung, und beide, die Koller und die Philharmoniker, haben ihren weltweiten Ruf wegen der kleinen Schar von Ungläubigen bis jetzt nicht aufs Spiel gesetzt.

Sie mag den Nachwuchs. Dazu könnte man sagen: „Kunststück - sie ist ja darauf angewiesen“. Jede(r) die/der sie kennt weiß, sie und der Avid werden wohl keine Freunde mehr fürs Leben. Oder, um sie korrekt zu zitieren: „Ich weiß, wo man schneidet, hab aber keine Ahnung mehr wie!“ Dafür hat sie die Jugend, die ja mit dem Krempel aufgewachsen ist - und Sie mag die Jugend und die Jugend mag sie, die Koller. Wenn man in Wien eine Assistentin/einen Assistenten für sie sucht, hört man oft: „Ja klar, mache ich!“  Mit der Koller schneiden zu dürfen, dafür lässt der Nachwuchs buchstäblich fast alles liegen und stehen.

Sie ist übrigens eine Eisprinzessin, immer noch. Ehrlich, sie war in ihrer Jugend, also so in etwa letzte Woche, eine erfolgreiche Eistänzerin. Eistänzerinnen müssen erstens hart trainieren, und wenn sie, wie im Fall der Koller, das auch selber wollen, und nicht nur dem Wunsch der Eltern folgen, dann sind sie auch hart zu sich selbst. Dann müssen Sie zweitens mit einem Partner zurechtkommen. Eistanzen geht nur zu zweit - anders als Eiskunstläuferinnen und -läufer. Jetzt kann sich jeder vorstellen, der die Koller hier erlebt hat, wer bei diesem Paarlauf den Ton angegeben hat. Sie selbst sagt über sich: ich war zu ehrgeizig, als 3. Zwerg von links, das war nicht meins. Deshalb wurde sie auch keine Schauspielerin, da hätte sie als 3. Zwerg von links anfangen müssen. Abgesehen davon, dass sie bei Fritz Muliar, einem der bekanntesten Volksschauspieler Österreichs, bei der Aufnahmeprüfung an der Schauspielschule durchgefallen war. Die Aufgabe: spielen sie ihre Reaktion, wenn sie am Telefon erfahren, dass ihre Mutter gestorben ist. Kollers Lösung - sie lauschte, den Telefonhörer am Ohr, mit ernster und unbewegter Miene, und meinte dann trocken: „Danke“ und legte auf. Das soll den Muliar so aufgeregt haben („Ich werd verhindern, dass sie auch nur irgendwo ein Engagement bekommen!“), dass es mit der Schauspielerei nix wurde. Aber die Koller hatte zu diesem Zeitpunkt schon einen Plan B: Schnittassistentin bei der damals größten Produktionsfirma in Österreich.

So wurde sie eine, ja was nun, aber dazu später, und blieb eine Eisprinzessin. Und wer genau darüber nachdenkt, was macht eine Eisprinzessin aus, weiß auch genau, was sie braucht: Hingabe, viel Liebe, spontane Anbetung und öfters grundlos erscheinende, aber umso heftigere, Ausbrüche von Begeisterung angesichts ihrer ersten Schnitte. Lassen Sie sich von leicht grantig wirkenden Reaktionen nicht täuschen, Eisprinzessinnen brauchen das. Lob streichelt ihre Seele, Komplimente gleiten wie Öl hinab und Begeisterung glättet sogar ihre Lungenbläschen, die sich ein klein wenig Pause verdient haben, nachdem sie seit Jahrzehnten den Zigarettenkrieg überleben müssen.

Ja, man muss es an dieser Stelle sagen: Sie - und übrigens auch ihr Ehemann - sind die letzten aufrechten Raucher von Wien. Und wie der Wiener Soziologe Roland Girtler zu sagen pflegt: Rauchen tun die Revolutionäre, die Nichtangepassten, die Veränderer - deshalb verbietens es auch, das Rauchen.

Können wir einfach so stehen lassen; samt den sich daraus für die Koller ergebenden Schlussfolgerungen, die sich angesichts ihrer Werkliste mehr als bestätigen.

Ich komme zur vorhin gestellten Frage, was ist die Koller jetzt? Eine Editorin - naja, das könnte auch Herausgeberin heißen. Eine Schnittmeisterin, da regen sich dann die vom Schnittmuster auf. Man erinnere sich: die Beilage zur Burda, die Schnittmuster für den Hausfrauenkittel auf Seite 17. Eine Cutterin. Cutter heißt auch ein Küchengerät zum verwurschten von Fleisch. Irgendwie gerät das jetzt aus den Fugen. Filmschnitt, so nennt es der österreichische Berufsverband, was ja auch nicht mehr stimmt, denn streng genommen wird heut gar nix mehr geschnitten, sondern Dateien oder besser referenzierte Ausschnitte von Dateien, zusammengefügt.

Die Koller ist eine anerkannte Größe an der angeblich dritten Schnittstelle der Entstehung eines Filmes: nach dem Drehbuch, hier entsteht er das erste mal, dem Shooting, hier das zweite mal, entsteht der Film am Schnitttisch ein drittes mal. Heute wahrscheinlich noch mehr, viel mehr als früher - denn, die elektronische Filmkamera verführt zu mehr Material, oft more of the same, selten ein mehr an Varianten oder Qualität.

Liebe Ingrid - wie groß Dein Anteil an den Qualitäten, an denen Du maßgeblich beteiligt warst, war, kann ich nur erahnen - bei einigen weiß ich es und bei einem Film, Du weißt welchen ich meine, bin ich überzeugt davon. Du hast uns den Dings, eh schon wissen, gerettet. Schlicht, weil Du so bist wie Du bist, ein klein wenig stur, sehr ehrlich, gesegnet mit der Gabe das fertige Bild, den fertigen Film in den zahllosen herumliegenden Puzzleteilen zu erkennen und weil Du, Gott sei Dank, immer noch eine Eisprinzessin bist.

Und wer das nicht erkennt, dem ist ohnehin nicht zu helfen.

Liebe Ingrid, ich gratuliere Dir zu der mehr als verdienten Auszeichnung.