Es geht nicht um mich

Mut kann man nicht kaufen, Glück auch nicht. Beides braucht ein Schauspieler, der sich international positionieren möchte. Lucas Englander, noch keine 30 Jahre alt, versucht genau das, lebt seit knapp einem Jahr in London, dreht für internationale Serien und kam im Mai kurz in seine Heimatstadt Wien, wo er Wolfgang Ritzberger begegnete.

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Lucas Englander 

Sein Auftritt in „Planet Ottakring“ war ein kurzer, die Rolle hatte nicht einmal einen Namen, „Skater“ steht auf der Besetzungsliste - und es hat ihn auch so gut wie keiner gesehen. Der mit viel Ambition gemachte Film war 2015 mit knapp 10.000 Besuchern nicht wirklich ein Chartstürmer. Seitdem sind vier Jahre ins Land gezogen, auf seinem Showreel ist Lucas Englander nur in der englischen und französischen Version zu sehen - beide Sprachen spricht er nahezu akzentfrei. Kaum zu glauben, dass er noch vor wenigen Jahren für einen Miniauftritt in einem österreichischen Spielfilm gebucht war.

 

Schuld daran ist das Max Reinhardt Seminar in Wien oder besser die Aufnahmeprüfung, die, wie er erzählt, in die Hose ging. Danach probierte er es in New York, an der renommierten Schauspielschule Stella Adler, deren bekannteste Absolventen etwa Robert de Niro oder Marlon Brando waren. Obwohl er dort nach einem Jahr das Studium abbrach, war eine Rückkehr nach Wien keine Option. Erste Station in London am Theater, dann Berlin, immer noch auf der Suche und schließlich wieder London, wo sich für ihn eine große Chance auftat. Ein Agent meinte, er habe genau die Rolle für ihn. Jetzt muss er sie nur noch bekommen. Und Lucas Englander kam, sah und siegte, lebt seitdem in London und steht derzeit für eine große Netflix-Produktion vor der Kamera.

 

Nach Wien kam er für den Film „Valses de Vienne“ der französischen Produktionsfirma Thelma-Film/Paris, deren Chefin Cristine Gozlan noch als Line-Producerin an Hanekes „Klavierspielerin“ mitwirkte. Englander spielt einen durchtriebenen, auf Wienerisch würde man sagen Strizzi, der letztendlich in der Donau landet. Ließen sich die französischen Stars, Karin Viard und Benjamin Biolay, bei diesen Szenen doubeln, so wollte Lucas Englander selbst ins Wasser - ausgerechnet als die „Eisheiligen“ den Mai in einen Spätwinter verwandelten. Mit viel Energie aber auch großer Spielfreude spielte Englander diese Szenen im Kuchelauer Hafen und hielt alle Takes eisern durch. Große Anerkennung des Teams um Regisseur Marc Fitoussi und DoP Antoine Roch, letzterer stand mit seinen beiden Assistentinnen, wie auch der Boomer, selbst in Fischerhosen stundenlang im eiskalten Donauwasser. Aber nicht nur dieser Einsatz machte ihn am Set beliebt, er kennt einfach keine Allüren.

 

Beim Dreh auf dem ehemaligen DDSG Dampfer „MS Stadt Wien“ brachte er den Statisten, sie mussten Kreuzfahrtgäste darstellen und stundenlang in der Kälte herumstehen, persönlich warmen Tee. Dabei ginge er locker als „Star“ durch, denn alleine die Verhandlungen mit Netflix, um die Dreharbeiten in Wien mit den Dreharbeiten für die neue Serie zu koordinieren, hatten schon viel von dem Termingezerre, dem gut gebuchte Schauspieler ausgesetzt sind. Nicht wenige Casting-Direktoren prophezeien dem Exil-Wiener eine große internationale Karriere. Wenn man ihn arbeiten sieht, wenn man ihn auf der Leinwand sieht und wenn man mit ihm spricht, ahnt man warum. Das Talent, das Können und den Mut hat er, und wie schon die wunderbare Verena Altenberger formulierte, Glück trifft immer den Vorbereiteten. Vorbereitet ist er, der Lucas Englander.

 

"Du lebst jetzt in London?"

 

"Genau."

 

"Warum? Der Karriere, der Zukunft, der Liebe wegen?"

 

"Zum ersten Mal in meinem Leben bin ich nicht wegen der Liebe übersiedelt, sondern wegen der Karriere. Ich habe vor etwa eineinhalb Jahren begonnen, mehr international zu drehen. Von London aus haben sich Chancen für mich ergeben, die ich von Österreich oder von Deutschland aus in keiner Weise hätte ergreifen können. Ich bin im letzten Sommer zu Meetings mit Castern und Agenten nach London gefahren, und da hat mir ein Agent ein Drehbuch hingelegt und meinte, wenn, dann jetzt. Na ja, und dann hat das wirklich funktioniert, und seitdem lebe ich in London."

 

"Wenn man dich googelt, stellt man fest, dass du in Österreich nicht so bekannt bist wie etwa Tobias Moretti."

 

(lacht)

 

"Du lachst, aber liegt das daran, dass du gleich den internationalen Weg gesucht hast, also die Ochsentour über Österreich nicht gegangen bist?"

 

"Das Ding ist, ich wollte sofort den internationalen Weg fahren, aber es war dann doch schwieriger, als ich dachte. Das Einzige, das ich mir zunächst vorstellen konnte, war nach Deutschland zu gehen, weil die Filmindustrie dort viel mehr vernetzt ist mit dem internationalen Raum. Als mein Interesse am Beruf eines Schauspielers geweckt war, so im Alter von 18, 19 Jahren, bin ich auch nach New York gegangen und habe dort bei Stella Alder Schauspiel studiert. Nach einem Jahr habe ich das Studium abgebrochen, bin nach London übersiedelt, habe dort Theater gespielt und bin dann erst wieder nach Wien zurückgekehrt. Das heißt, ich war nie da, weißt du, ich habe hier nie begonnen. Ich war Statist, bevor ich nach New York gegangen bin, aber ich habe in Wien nie wirklich gearbeitet oder meine Karriere hier gestartet. Ich würde sagen, ich hatte Angst davor, und jetzt freut es mich, dass ich es machen darf."

 

"Hat dich deine Mutter nicht gewarnt? Dein Vater ist Unternehmer und deine Mutter..."

 

"Meine Mutter hat mich überhaupt nicht gewarnt. Als ich ihr sagte, ich möchte Schauspieler werden, meinte sie, das weiß ich sowieso. Mein Onkel hat mich gewarnt, aber auf meinen Onkel wollte ich nicht hören."

 

"Deine Mutter war als Cutterin bei einem der „heißesten Filme“ dabei, „Jedermanns Fest“, der eine Produktionsfirma fast in den Ruin getrieben hätte und weiß daher auch genau, worauf du dich eingelassen hast."

 

"Auf jeden Fall. Meine Mutter, sie ist in Tschechien geboren, hat mir seit meiner Kindheit etwas Tolles mitgegeben. Es gibt im Tschechischen den Satz „Do toho“. Das heißt, gemma, los geht’s. So hat sie mich erzogen."

 

"Also Feigheit gilt nicht."

 

"Ja, never be afraid of a fight."

 

"Wenn man mit Casting-Direktoren über dich redet, sagen alle, auf Lucas Englander muss man aufpassen, der steht ganz kurz vor einer ganz großen Karriere. Siehst du das auch so?"

 

"Das berührt mich sehr, dass die das sagen. Und alles andere, was kommt, das kommt und ich werde mein Bestes geben."

 

"Du drehst derzeit für eine Netflix-Serie, du wirst wahrscheinlich nicht viel darüber erzählen dürfen?"

 

"Leider noch nicht."

 

"Aber das ist eine große Kiste?"

 

"Es ist natürlich sehr schön, bei einer so großen Sache dabei zu sein. Leider, oder vielleicht zum Glück für mich, bin ich jemand, der solche Sachen erst danach realisiert, also wenn etwas von Bedeutung ist. Deswegen erzeugt es jetzt nicht so ein Gefühl, dass ich bei etwas Großem dabei sei. Es freut mich, dass es so vielen Leuten gefällt, die Spaß daran haben. Es geht weniger um mich, das lerne ich gerade, es geht nicht um mich."

 

"Ich find das sehr bemerkenswert, du lebst schon einige Zeit im Ausland, aber das Wienerische ist nicht verloren gegangen. Also das Gute im Wienerischen, der Humor, der Dialekt, der verbindlicher ist als das Berlinerische zum Beispiel. Ein wenig auch der Hang, gut leben zu wollen, aber ohne ein Raunzer, ein Nörgler zu sein. Du sagst, und es klingt bei dir ehrlich, super, dass ich das machen darf."

 

"Da hast du dir die Frage grad selbst beantwortet."

 

"Das passiert mir öfter. Kannst du versuchen, dir eine ergänzende Antwort abzuringen?"

 

"Wir leben alle das Leben, und das Leben ist individuell. Wenn du Empathie für das Individuelle hast, darfst du auch Empathie für dich selbst entwickeln. Und wenn du Empathie für dich selbst entwickelst, musst du dir nicht mehr vorkommen, als sei dein Ego wichtiger, als der, der du wirklich bist. Und dann bist du einfach, da kann ich dann auch nix dagegen machen. Ich kann dann nur versuchen, besser zu werden in den Sachen, die mich noch scheitern oder mein Ego durchkommen lassen, und bei den anderen Sachen bin ich ganz einfach da. Ich hoffe das beantwortet die Frage."

 

"Ja natürlich, vollständig. Vermisst du eigentlich manchmal Wien? Was wäre anders geworden, wenn du zum Beispiel als Eleve am Burgtheater begonnen hättest?"

 

"Also einer der Gründe, warum ich von Wien weggegangen bin, ist, weil mir die intellektuelle Theaterkultur, die damals geherrscht hat, nicht gefallen hat, weil ich damit nichts anfangen konnte, weil es mich nicht berührt hat. Dadurch, dass ich so lange weg war, sehe ich alles neu. Und ich glaube, jetzt bin ich an einem Zeitpunkt meines Lebens angelangt, an dem es darum geht, verschiedene Sachen, die mir damals nicht gefallen haben, aufzuarbeiten. Vermisse ich Wien? Wien ist für mich wie eine neue Stadt, die ich kennenlerne, da ich hier drehen darf. All die Probleme, die ich in Wien hatte, die Gedanken, die Gefühle, meine Jugend, das ist alles Vergangenheit. Alles, was jetzt da ist, und alles, was ich damals vielleicht vermisst habe, natürlich vermisst du deine Familie, deine Freunde und alles, was du liebst, ist vergangen. Ich vermisse vor allem Leute, weniger Orte. Ich muss schauen, was ist Wien jetzt und nicht mit meinen alten Augen drauf schauen."

 

"Ist Theater für dich auch eine Option?"

 

"Ich würde liebend gern Theater spielen. Ich hab momentan Glück, dass ich Filme drehen darf, dass ich bei Serien dabei sein darf, die von Leuten gemacht werden, die mir viel beibringen können. Und ich bin jung, da kann ich noch viel lernen. Ich hab eine Angst davor, Theater zu spielen, weil ich dann vielleicht drei Monate mit Menschen zusammen sein muss, die mich nicht glücklich machen. Ich bin wählerisch, aber ich beginne zu lernen, mit Leuten zu arbeiten, mit denen ich das wirklich machen möchte. Stephen Daldry etwa, ein britischer Theater- und Filmregisseur, der zum Beispiel den Film „Billy Elliot“ gemacht hat, derzeit geht ein Stück von ihm, „The Jungle!“, um die Welt, das von Flüchtlingen handelt, die in Calais gestrandet sind. Ich hoffe, dass ich solche Menschen treffen und währenddessen Filme drehen darf. Aber was auch immer passiert, passiert."

 

"Interessant, du sprichst vom Theater und erwähnst einen britischen Regisseur und nicht etwa Herrn Kušej, der im Herbst sein Amt als Burgtheaterdirektor antreten wird. Wie sieht man aus dieser Entfernung Wien, das sich ja selbst für den Nabel der Kulturwelt hält? Wie reagiert man in London, wenn du sagst, dass du Österreicher bist."

 

"Dazu muss man sagen, dass ich als Brite verkauft werde. Ich darf gar nicht darüber reden, dass ich in Österreich aufgewachsen bin, sonst suchen die sofort einen Akzent. Auch in Berlin hat es immer geheißen, wenn du mit den Leuten redest, nicht wienern. Aber ich denke, dass sich das Theater derzeit ändert."

 

"Das heißt, dir geht es ein wenig wie Sandra Bullock ..."

 

"Ich weiß nicht, ob ich mich mit solchen Leuten vergleichen darf?"

 

"Na ja, sie ist ja in Deutschland aufgewachsen und spricht immer noch perfekt Deutsch, fast akzentfrei. Sie wird das in Hollywood auch nicht laut erzählt haben, bevor sie erfolgreich war."

 

"Wahrscheinlich nicht, sie hat sicherlich von Anfang an perfekt amerikanisches Englisch gesprochen und ist daher voll aufgenommen worden. Bei mir ist es so, dass ich den britischen Akzent lernen musste, und zwar so schnell ich konnte, weil ich schon besetzt war. Diese Chance als Brite verkauft zu werden, kommt nicht so oft."

 

"Aber es hat funktioniert?"

 

"Es funktioniert anscheinend, und ich hoffe es funktioniert auch weiter."

 

"Lieben Dank für das Gespräch ... wird schon schief gehen."