Ökonomisierung der Kultur

oder: Gedanken zum Thema Filmförderung

 

Filme  Films 

Das Thema beschäftigt mich naturgemäß seit Jahren. Mein Credo: wenn wir bei den dringend notwendigen Erhöhungen der Fördertöpfe nur wirtschaftlich argumentieren, werden wir nichts erreichen, diese Ökonomisierung der Kultur ist ein Widerspruch in sich. Bei diesem Thema klappen Politiker die Ohren zu, bekommen Bankdirektoren ansatzlos Brechdurchfall und das Publikum ist ohnehin over-amused und merkt gar nicht, dass es under-entertained ist.

Der Ansturm auf die Förderinstitutionen und TV-Anstalten hält an, der Friedhof der nicht verwirklichten Projekte wird fast unüberschaubar. Manches ist zu Recht dort gelandet, das Meiste aber scheitert am beinharten Konkurrenzkampf der Branche untereinander und daran, dass die Entscheidungsgremien angesichts der Fülle von Einreichungen keine für alle nachvollziehbaren Entscheidungen treffen. Das Mantra der Förderer, Qualität setzt sich letztendlich durch, klingt manchen wie Hohn im Ohr – viel von dem, was mit großen Vorschusslorbeeren auf den Weg gebracht wurde, findet kein Publikum, überzeugt höchstens Festivalkuratoren, die von der personellen Zusammensetzung ähnlich gestrickt sind wie die Kommissionen der Förderer und wird zwar ab und an vom ORF mitfinanziert, der zu erwarteten Zuschauerbegeisterung wegen dann aber nur zaghaft programmiert. Die Förderinstitutionen reagieren irgendwann verschnupft, Kritik ist zwar zulässig, hilft aber selten ernsthaft. 


1 Der Konkurrenzkampf der Branche untereinander setzt sich mittlerweile auch bei der Diskussion über zukünftige Fördermodelle fort: die Grüne Wirtschaft, die mit Alexander Dummreicher-Ivancaneau den neuen Fachgruppenobmann in der Bundeswirtschaftskammer stellt, präferiert das Tax-Shelter Modell, also so etwas wie ein erweiterter FISA: von dem Geld, das Du in Österreich ausgibst, bekommst Du einen Anteil wieder zurück. Dieses Modell gibts rund um Österreich bereits seit Jahren und mit solchen Modellen liefern sich etwa einzelne US-Bundesstaaten einen Wettbewerb um Dreharbeiten. Das „belgische Modell“ (dass es in leicht veränderter Form auch in FRA und Spanien gibt) wird seitens der Funktionäre nicht präferiert, weil Steuervermeidung keine grüne Politik sei. Das „belgische Steuermodell“ bekommt grob vereinfacht sein Geld von Unternehmern bzw. freien Berufen (Anwälte, Ärzte, Architekten etc.), die damit Steuern sparen. Der Betrag der hier steuerschonend eingezahlt werden kann, ist in Belgien übrigens gedeckelt. Nachteil, als Aggregator dieser Gelder fungieren Banken, deren Handlungsfee, Finanzierungskosten etc. bis zu 40% der Fördersumme betragen können. Das Tax-Shelter Modell ließe sich in Österreich schnell verwirklichen, da es beim FISA angesiedelt werden könnte. Für das Steuermodell gab es angeblich einen bereits verhandelten Gesetzesentwurf der ÖVP, der aber durch die Aufregungen um das „Ibiza Video“ in der Versenkung verschwunden ist und angesichts der Pandemie dzt. sicher keine Priorität hat. 

2 Vor kurzem meinte ein bekannter und erfolgreicher Produzent zu mir, irgendwie könne er die Entscheidungen nicht mehr nachvollziehen – und er meinte auch wirklich „nachvollziehen“, was nichts damit zu tun hat, ob er die Entscheidungen gut fände. Nachvollziehen im Sinne von, ich weiß nicht mehr, was ich einreichen soll und ich trau mich nicht mehr einzuschätzen, hat der Stoff jetzt Chancen gefördert zu werden oder nicht.

 

Schon David Mamet mahnte seine Studenten, „Be aware of your colleagues!“ und meinte damit jene Kommilitonen, laut Memet die Mehrheit, die nicht in der Filmbranche landet, zumindest nicht als Filmschaffender. Fast sogar das Gegenteil, jene Studienkollegen machen zwar brav ihr Studium fertig und setzen dann noch ein Studium drauf, landen letztlich aber in den Gremien, Kommissionen und Jurys, als Beiräte, Dramaturgen und Redakteure, die dann entscheiden ob die paar Prozent, die Filmschaffende geworden sind, Geld verdienen dürfen.

David Memet, der Regie und Dramaturgie Guru in Hollywood, dessen meisterhaften Filme selbst (etwa „The Spanish Prisoner“, die ultimative Hitchcock Hommage) an der Kinokasse eine nur überschaubare Performance zusammengebracht haben. Die, meines Erachtens erlaubte, Kritik an den Förderentscheidungen greift auch insoferne zu kurz, weil unterm Strich haben wir zu wenig Geld in den Fördertöpfen und unterm Strich investiert auch der ORF zu wenig in die heimische Produktionslandschaft. Zu wenig, um das Filmschaffen in seiner ganzen Breite und Vielfalt abbilden zu können, obwohl alle beteuern, dass sie sich genau darum bemühen. Kein Einwand gegen Filme, die in den Kinos kein Publikum finden, siehe auch Memet, dafür aber bei Festivals reüssieren – das Filmschaffen unseres Landes spiegelt sich natürlich auch in diesem Filmen wieder. Die dzt. laufende Retrospektive aus Anlass des jetzt eigentlich 27 jährigen Bestehens der Amour Fou ist dafür ein hervorragendes Beispiel. Mir fällt auf die Gschwinde kein von der Amour Fou produzierter Film ein, der an der Kinokasse gestürmt wurde – mir fallen aber jede Menge Filme ein, die die Bezeichnung „Kunstwerk“ ohne Widerspruch mehr als verdienen.

Vergleichen wir die Fördertöpfe in anderen europäischen Ländern, dann liegt Österreich an 4. Stelle! Hurrah! Aber nur, wenn wir die Filmförderung in Bezug zur Bevölkerung setzen. Die durchschnittlichen Kosten für einen abendfüllenden Kinospielfilm in Europa können wir nur leider nicht mit der Zahl der Österreicher in Bezug setzen. Da gelten absolute Zahlen und da sind wir dann eher weiter, viel weiter hinten. Die Erhöhungen der Fördertöpfe der letzten Jahre waren in Wahrheit keine echten Erhöhungen, sondern meist Ersatz für vorher gestrichene oder „umgewidmete“ Mitteln oder zusätzliche Agenden, die aus den Fördertöpfen zusätzlich zu bestreiten waren. Faktum ist, dass das Filmförderungsgesetz ursprünglich eine automatische Inflationsanpassung vorgesehen hatte, die im Jahr 2000 von der schwarz/blauen Regierung abgeschafft wurde. Das ÖFI Budget stagnierte damals bei 9,6 Millionen p.a. bis 2006, wo die von der damaligen SPÖ Kulturministerin versprochene Erhöhung auf 20 Millionen begonnen wurde. Erst 2013 war das Budget dann auf dem nach dem Oscar für „Die Fälscher“ (das war 2007 !!!) versprochenem Niveau. Wenn wir Kaufkraft und Inflation über all die Jahre berechnen, dann hat das ÖFI Budget von 2000 bis 2006 mehr als 10% an Kaufkraft verloren, das heißt, die 9,6 Millionen waren eigentlich 10% weniger wert. Auch die 20 Millionen haben sich in den Jahren der „Nichterhöhung“ verdünnt. Konservativ berechnet um etwa 17%. So gesehen sind die Erhöhungen der letzten Jahre nicht einmal der Ausgleich der Inflation, also von echten Erhöhungen kann keine Rede sein. Gilt auch für alle anderen Förder-Töpfe. 

Auf die Politik zu setzen, bringt so gesehen also eher nix. Welche Kulturpolitikerin, und wir haben es im Bund und Wien – dort wird bekanntlich der größte Landestopf für Filmförderung verwaltet – mit zwei Politikerinnen zu tun, hört schon gerne, dass die als ur super verkündeten und „voi-leiwanden“ Budgeterhöhungen im Vergleich zu den anderen Ressorts in der Regierung eher bescheiden ausgefallen und daher nicht einmal halb so toll sind, wie bejubelt. Mehr ist nicht drinnen, denn mit Kultur gewinnt man keine Wahlen. Sollte ein Politiker sich dennoch zufällig für Film interessieren und sein Interesse zufällig über Til Schweiger hinausreichen, und sollte er sich dann auch zufällig etwas über die Komplexität der Filmförderung und damit der Finanzierung von Spielfilmen gemerkt haben, dann muss es ihm nur noch gelingen, sich eine eigene Meinung zu bilden und sich damit gegen alle anderen Ideen der anderen Politiker durchzusetzen. Immer, wie erwähnt, unter Berücksichtigung der Tatsache, dass Erfolge bei der Verbesserung der Situation der Filmindustrie keine Wahlen gewinnen. Nicht einmal angeblich kulturaffine Parteien widmen sich diesem Thema auch nur ansatzweise ernsthaft.

Lisa Giehl, ehemalige Mitarbeiterin der Filmförderung in Bayern und heute in der Geschäftsführung der Constantin, beschäftigte sich unter dem Titel „Kulturelles Kapital“ in ihrer Dissertation (2016) mit einem wichtigen Aspekt der Filmförderung. Alles müsse heute wirtschaftlich argumentierbar sein, Effekte und Hebelwirkungen bilden das Unterfutter für Forderungen der Kulturpolitik an den Bundeshaushalt, an das Budget. Die Branche argumentiert mit ihrer Bruttowertschöpfung, mit Beschäftigungszahlen und dem Impact für Tourismus, Zulieferindustrie. Die Kulturschaffenden in ihrer Gesamtheit werden wie Beschäftigte in anderen Branchen betrachtet: als Wirtschaftsfaktor, als Aggregat von Arbeitsplätzen. Giehl stellt allerdings die Frage, ob dabei nicht andere wesentliche Elemente zu kurz kommen. Grundsätzlich wird immer wieder festgestellt, in Deutschland wie auch bei uns in Österreich, dass Filmförderung zwischen einer Wirtschaftsförderung und einer Kulturförderung ständig oszilliert, je nachdem wer danach fragt.

Und wie es der Wirtschaftssprecher der SPÖ und ehemalige Staatssekretär im Finanzministerium, Christoph Matznetter, formuliert: Förderungen zu verlangen, das können die anderen besser: etwa die Bauern oder die Industrie. Frage: wenn wir nicht mehr mit der Wirtschaftlichkeit, den makroökonomischen Effekten argumentieren sollen, was ja derzeit unsere Branchenvertreter machen, womit dann?

Einschub: Kultur ist ein meritorisches Gut, dass nur in sehr seltenen Fällen in der Lage ist oder war, sich über den Markt zu finanzieren - Mäzene oder der Staat intervenieren seit der Antike durch Spenden oder Förderungen und halten so die Kultur auf dem Niveau, dass wir heute kennen, am Leben. Europäische Politiker, die im Zusammenhang mit Kultur gerne in die USA schielen und damit argumentieren, dass dort der Markt die Kultur regelt, vergessen erstens, dass es sich um einen 300 Millionen Zuschauer Markt auf dem in etwa gleichen kulturellen Niveau handelt die überwiegend die gleiche Sprache sprechen, die paar Intellektuellen an der Ostküste und in Kalifornien fallen nicht ins Gewicht, und zweitens, dass sich kulturelles Investment in den USA über Steuermodelle und RePaids staatlicher Intervention erfreut. Diese finden dann noch im Zusammenhang mit der beinharten Konkurrenz der Bundesstaaten untereinander statt, die sich gegenseitig hinauf lizitieren.

Demeritorische Güter sind solche, die sich am Markt finanzieren, zum Überleben also keiner staatlichen Intervention bedürfen, der gesellschaftliche Konsens aber zu Einschränkungen führt - Drogen z.B., würden sich sicher gut verkaufen, unterliegen aber teilweise sehr rigiden Zugangsbeschränkungen. In Wahrheit führt die Klimadebatte auch dazu, dass einige Güter, die nicht nachhaltig genug oder deren Carbonfootprint gräuslich ist, demeritorisch werden, als deren Verkauf vom Staat erschwert oder verboten wird. Das Gegenbeispiel eines meritorischen Gutes, einmal nicht Kultur: Sonnenkollektoren, die sich derzeit immer noch nicht ganz rechnen, werden großzügig gefördert, weil sie als ökologisch sinnvoll erachtet werden.

So gesehen müssten wir für die Kultur, für den Film genauso argumentieren wie die Hersteller von Sonnenkollektoren.

Die Autoren einer Studie des IHS (Institut für höhere Studien/Wien) halten fest (die Studie stammt aus dem Jahr 2008 und ist die „jüngste“ zum Thema Kultur und ökonomische Hebelwirkungen), dass es notwendig sei, die Anwendung finanzpolitischer Instrumente für meritorische Güter, also etwa für die Filmförderung, zu begründen, notabene sich mehrere Problemkreise diesbezüglich abzeichnen würden. Zunächst muss begründet werden, warum die staatliche Intervention die Konsumentensouveränität durch zusätzliche, staatliche gestützte, Angebote beeinflussen muss oder sollte. Denn, aus welchen Gründen auch immer, reichen die individuellen Präferenzen der KonsumentInnen anscheinend nicht aus, um diese Güter ohne staatliche Intervention zu erhalten. Dabei spielt die nicht immer eindeutig zu treffende Unterscheidung von privatem und öffentlichem Gut bei meritorischen Gütern eine große Rolle. Die Erhaltung von Kultur ist aus historischer, ethischer und gesellschaftspolitischer Sicht Bestandteil des Präferenzbündels eines jeden Österreichers. Anders ausgedrückt, die ÖsterreicherInnen begreifen Österreich als Kulturnation und sehen das, durchaus auch irrational, als eines der Alleinstellungsmerkmale Österreichs an. Trotzdem ist die individuelle Bereitschaft, diese Güter zu erhalten anscheinend gering (dass diese Bereitschaft z.B. bei Fußball, gemessen an den Zuseherzahlen, noch geringer ist, vermag in diesem Zusammenhang nicht wirklich zu trösten und spiegelt sich in der öffentlichen Debatte kaum wieder). Soviel dazu, dass wir eine Kulturnation sind.

Eine Anekdote aus den 70er Jahren berichtet von einem jungen Mann, der an das Gremium des KjdF (Kuratorium junger deutscher Film) kein Drehbuch sondern nur einen Roman geschickt und im beiliegenden Brief festgestellt hatte, dass er den verfilmen wolle. Die Rechte seien auch kein Problem, der Autor sei ein Freund von ihm. Das Gremium hatte den Antragsteller trotzdem eingeladen, sein Projekt vorzustellen. Der junge Regisseur erzählte umständlich was er schon geschrieben hatte. Das Gremium vertraute dem jungen Herren und er konnte den Film realisieren, der dann unter dem gleichen Titel wie der Roman ins Kino kam: „Die Angst des Torwarts beim Elfmeter.“ Wäre Wim Wenders auch ohne diesen Film berühmt geworden und die Frage, ob das heute noch möglich wäre, darf und muss auch gestellt werden.

Ganz am Ende steht dann das Publikum, dass ja gerne ins Kino gehen möchte. Was bei manchen Filmen wirklich schwer ist. Wenige Kopien und kaum massentaugliche Beginnzeiten. Für Betreiber von Lichtspieltheatern und Verleiher wurde das Geld sichtlich noch nicht abgeschafft.

Nur, ohne die Auswertung im klassischen Kino wäre der Film nicht nur als kulturelle Einrichtung sondern auch finanziell schwer bedroht, die Streamingdienste zahlen weniger und haben ein anderes Geschäftsmodell - bei denen dreht sich alles um Abonnenten und nicht darum, gute Filme zu produzieren oder zu zeigen. Die Filme sind dort nur Mittel zum Zweck.

Wahrscheinlich ist das unsere Schwäche, wahrscheinlich argumentieren wir deshalb nicht mit dem Thema „Kultur“, weil wir glauben, dass wir mit der Ökonomisierung mitkönnen müssen. Weil uns Modelle wie die der Streamingdienste faszinieren. Ist auch faszinierend, wie hier der Markt durcheinandergewirbelt wird und schwupps sind sie so groß, dass sie plötzlich ein Faktor sind. Die Politik schaut wie immer zu und freut sich, weil endlich alle Til Schweiger Filme zu sehen sind. Auch die eher nicht so gelungenen. Mehr dazu in meinem Beitrag „Wir sind Ihnen gleich“.