Digitales Lumpenproletariat

Mehr als deutlich nennt Kurt Brazda, Regisseur und ehemaliger Präsident des aac, die Zukunftsaussichten für nicht wenige Filmschaffende beim Namen. Warum ihnen droht, zum digitalen Lumpenproletariat zu werden, erklärte er Wolfgang Ritzberger.

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Arbeiterkammer  Work 

Salbungsvolle Versprechungen und Formulierungen werden hier nicht mehr weiterhelfen. Das ist jedem sofort klar, der Kurt Brazda zuhört, seine Statements liest und ernsthaft darüber nachdenkt. „Die Anstellung wird die Ausnahme sein, Freelancer die Regel!“ In diesem Statement Brazdas steckt so ziemlich alles, was die „old fashioned loverboys“ der Filmbranche auf die Palme zu bringen imstande ist. Anstellung und eine eher konservative Auslegung der hier korrespondierenden rechtlichen Regelungen gilt hierzulande meist noch als Dogma.

 

Zumindest einigen, immer weniger werdenden Kolleginnen und Kollegen. Aber die Front bröckelt zusehends und selbst Big Player stellen unverblümt die Frage, ob es denn wirklich ein angestellter Cutter auf KV-Niveau sein müsse, wenn’s ein Kollege für deutlich weniger „Cash auf die Kralle“ auch machen würde, notabene die Kollegen mittlerweile nicht mehr hinterm eisernen Vorhang säßen, sondern mitten in der EU angekommen seien und vor allem recht sorglos vorgeschnitzte Rechnungen unterschreiben täten. Daheim hammses denn eh nicht so mit Sozialversicherung und Steuern, zumindest tätens zwar gern, bringens aber nicht so zamm, wie sies gern täten. 

 

Die Filmbranche als Blaupause für die restliche Welt 

Nüchtern betrachtet, waren die Argumente über die Jahre immer gleich und auch immer gleich richtig. Orientiert am Arbeitsgesetz ließ sich trefflich argumentieren, dass so gut wie fast alle Gewerke des Filmschaffens alles andere als „freie Berufe“ sind. Man verwende fremde Arbeitsgeräte, habe Dienstzeiten und sei weisungsgebunden. Schluss aus basta. Wer so dumm sei, sich nicht anstellen zu lassen, bekomme die Rechnung dann im Lauf der Jahre präsentiert. Die erste nach etwa zwei Jahren mit den Nachzahlungen an die SVA, die zweite, wenn Kranksein zum Luxus wird, die dritte beim 13. und 14. Monatsgehalt und die letzte dann als Schlussrechnung in der Pension. Dort würde sich die ganze Malaise noch einmal so richtig summieren. Ja, unbestritten, kann genau so kommen und ist genauso gekommen, in vielen, viel zu vielen Fällen.

 

Und Kurt Brazda argumentiert ja auch gar nicht gegen eine Anstellung und hält, als alter Gewerkschafter mit einem fast schon romantischen Hang zur Sozialdemokratie, nach wie vor genau das für die beste aller Lösungen. „Ich hab selbst lang genug für Verbesserungen des Kollektivvertrages gekämpft und solche verhandelt. Aber ich bin der festen Überzeugung, dass das die Jungen in der Branche in ein paar Jahren nicht mehr betreffen wird,“ so Brazda. Sein Befund: die Sozialstrukturen würden fast überall zusammenbrechen und die neuen Arbeitsmodelle machen die Beschäftigten zu Vogelfreien, die weder Schutz noch irgendwelche Regulative in Anspruch nehmen können. Die Filmbranche diene hier gleichsam als Blaupause für die restliche Welt. „Nimm die Fahrer bei Uber als Beispiel, die niedrigen Fahrpreise gehen auf wessen Kosten? Auf die der Fahrer. Und zu allem Überfluss tragen die auch noch das ganze Risiko, weil sie irgend so etwas wie freie Unternehmer sind, ohne das wirklich zu wollen.“

 

Sozialabgaben

Genau dort haben die Verfechter der Anstellung bisher auch erfolgreich eingehakt, wenn alle anderen Argumente wegdiskutierbar waren. Nachzahlungen an die SVA? Sorry, aber die Sozialabgaben sind unterm Strich in jeder Beschäftigungsvariante ähnlich, die Summe aus Arbeitgeber- und Arbeitnehmerabgaben und sonstigen Lohnnebenkosten unterscheiden sich da nicht so großartig. Im Gegenteil, bei manchen Leistungen sei die SVA sogar besser als die Gebietskrankenkassen für Angestellte. Wer nachzahlt, hat vorher zu wenig bezahlt und hat daher einen zumindest nicht so sorgfältigen Steuerberater, der das eigentlich wissen sollte. Krankenstand, ja stimmt aber auch dafür gibt’s Versicherungen, mittlerweile sogar von der SVA angeboten. 13. und 14. Monatsgehalt, auch richtig, ist aber nur der halbe Schmerz, wenn ich insgesamt bessere Gagen bekomme. Pension, na gut, das mag bisher gegolten haben, aber ganz ehrlich, die Filmschaffenden in ihren 20ern können nicht wirklich davon ausgehen, dass es mal so etwas wie eine Pension geben wird. Wer schon bisher wusste, was er verlangen muss, wenn er auf Rechnung arbeitet und dass 450 Euro Tagesgage im Kollektivertrag nicht den gleichen Betrag auf Rechnung heißen kann und darf, war bei allen diesen Themen auch ohne Anstellung durchaus gut bedient. Vorausgesetzt der Brötchengeber, der dann zum Auftraggeber wurde, sah das auch so.

 

Haftung und Weisung 

So, aber was ist mit der Haftung. Als Lieferant, als eigene Firma hafte ich für alles Mögliche, was mir als Angestellter nie und nimmer angekreidet werden kann, ja sogar bewiesene Blödheit ist beim Angestellten versichert. Ja, auch nicht falsch, aber selbst die Versicherungen nehmen mittlerweile darauf Rücksicht, schon seit Jahren werden in Haftungsfragen auch die Mitarbeiter von Subfirmen, betrifft sehr oft Licht oder Ausstattung, wie direkt bei der Produktion angestellte behandelt. Bleibt noch: weisungsgebunden, zur Verfügung gestelltes Arbeitsgerät, Dienstzeiten?

 

Dazu meinte Fachverbandsobmann Danny Krausz im November vergangenen Jahres bei der Enquete „Erfolgreich armutsgefährdet“, dass er nicht mehr davon ausgehe, dass sich ein DoP wie etwa Thomas Kienast von ihm eine Weisung erteilen lasse. Das zur Verfügung stellen eines Arbeitsgerätes reduziere sich auf das Mieten eines solchen, viele DoPs bringen zum Beispiel ihre eigenen Optiken oder das  eigene Filterkistl mit und dass der Drehbeginn um 0700 angesetzt ist, ergibt sich nicht zwingend aus der Dienstanweisung eines Dienstherren, sondern eher aus den sachlich und fachlichen Notwendigkeiten, die für alle Beteiligten erkennbar waren und daher meist im Konsens aller Beteiligten festgelegt werden. So schnell kann’s gehen, und bis hierher durchaus sinnvolle gesetzliche Regelungen schauen auf einmal uralt aus.

 

„Die Trennung in böse Produzenten und gute, aber arme und ausgebeutete Filmschaffende gibt es nicht mehr“, so Brazda, und weiter: „Wir sitzen alle im gleichen Boot und sollten uns lieber gemeinsam gegen die wirklichen Feinde unseres Sozialstaates wehren, die uns Arbeitsbedingungen diktieren.“ TV-Sender etwa, die sich an keine Regeln, vor allem die Fülle von sich „Sender“ nennenden Unternehmen, die im Internet senden und ernsthaft glauben, für sie gelte weder der Kollektivvertrag noch sonst eine Tarifregelung. Oder alle Filmschaffenden, die über den Preis zum Auftrag kommen und genau diesen Preisdruck dann weitergeben. Wobei letztlich auch der Auftraggeber seinen eigenen Preisdruck nur nach unten weiter gibt. Hier setzt auch Brazda seine Kritik an der Gewerkschaft an, die, so sein Eindruck, sich nur für bestehende Regularien und deren Beachtung zuständig fühle, neue Gesetze oder gänzlich neue Beschäftigungsmodelle seien nicht deren Aufgabe. „Hier heißt es immer nur, das sollten die Wirtschafskammern machen, wir schauen uns das an, wenn es am Tisch liegt.“ Die durchaus verständliche Logik dahinter, man werde sich die drohende Verschlechterung nicht auch noch selber ausdenken.

 

Ausbeuter seiner selbst 

Muss aber nicht sein, meint Kurt Brazda, denn ein Neudenken könne eher dazu führen, dass sich wieder mehr Menschen, nämlich auch die EPUs und die neuen Selbstständigen, in dieser, dann etwas neuen Gewerkschaft, immer noch zu Hause fühlen. „Ein selbstständiger Kameramann ist nicht plötzlich ein Ausbeuter der Arbeiter geworden, eher ein Ausbeuter seiner selbst. Genau davor sollten wir ihn schützen.“ Davor, dass er von anderen ausgebeutet werde und sich auch selbst ausbeute. Logische Frage, wen vertritt dann die Gewerkschaft und vor allem wem gegenüber? Gute Frage, aber genau das bedarf eben neuer Strukturen und Regularien.

 

Ein erster Schritt wäre mehr Transparenz und ein zweiter so etwas wie Normen und Kontrollinstanzen. Die Gesellschaft müsste doch ein vitales Interesse daran haben, dass Beschäftigung auch hier funktioniert!“ Die Gewerkschaften, und man spürt, dass das Kurt Brazda ein großes Anliegen ist, müssten einfach umdenken, sich reformieren. Man könne zwar nicht alles regeln, aber eine gewisse soziale Kompetenz sollte dem Staat wichtig und daher auch einklagbar sein. „Das ist auch der Grund, warum wir etwa mit dem internationalen Kameraverband auch nach Brüssel gehen, wir brauchen Verbündete, die uns helfen, das politisch durchzusetzen.“

 

Verbündete

Seine ersten Verbündeten kommen interessanterweise auch aus der Gewerkschaft, die das Thema ebenfalls neu denken. Was klingt wie aus dem Leihgerätepark vom Zgonc: „vidaflex“ ist in Wirklichkeit eine gewerkschaftliche Vertretung mit einem umfangreichen Servicepaket für EPUs, Kleinbetriebe und Start-ups. „Ich habe das jetzt jahrelang angeregt, und sehe es klappt,“ meint Kurt Brazda, der die Kammern und Gewerkschaften auch überfordert sieht. Daher müssten diese Anliegen vor allem an die Politik herangetragen werden. Es könne einfach nicht sein, dass wir uns nie gewehrt haben, und weiter: „Dieses große Bild kann und wird nur aus Europa kommen können.“ Und gleichzeitig streut er dem Dachverband der Filmschaffenden für dessen Arbeit Rosen, denn, so Brazda, die haben mit ihren Studien und Veranstaltungen in den letzten Jahren für sehr viel Aufmerksamkeit gesorgt. „Die haben es geschafft, dass nicht über uns, sondern immer öfter mit uns geredet wird.“ Aber um die großen Ideen umzusetzen, werde es noch weitere Jahre dauern, ist er überzeugt, aber, und auch davon ist er überzeugt, Hauptsache es geschieht.