Die lange Nacht der langweiligen Oscars

Orientierungslos, gefällig nach allen Seiten und unendlich langweilig, so erlebte ich die Oscar Verleihung 2022, einzig Will Smith brachte Schwung in den Laden.

Es war ein Highlight, das ich fast verschlafen hätte – es zählt zu meinen für meine Umwelt durchaus nervigen Eigenschaften, dass ich fast überall einzuschlafen pflege. Meist aber, wenn es mich beginnt zu langweilen. Das gilt für das Theater, das Konzert, das Fernsehen (egal ob per Stream oder linear vor dem Bildschirm) und erst recht im Kino. Immer dann, wenn es langweilig wird, versinke ich langsam in Morpheus Arme. Leider beginne ich manchmal auch zu schnarchen, das ist der Moment wo sich meine Begleitung, meist meine Frau, zu genieren beginnt. Verstehe ich auch. Zahlreich sind die Anekdoten über meine Schnarcher in Konzerten, Theatern, Kinos und bei Vorträgen oder Sitzungen. Ein ORF-Grande hatte mich vor vielen Jahren gefragt, ob ich so müde bin, oder sein Vortrag so langweilig (ich saß im Publikum, ganz hinten, versteckt, war damals Betriebsrat) – meine spontane Antwort, ich war ja soeben erst aufgewacht, ein wenig von beidem. Kein Wunder, meinte dazu meine Frau, dass ich so viele gute Freunde hatte.

 

In der Oscar Nacht war es wieder so weit, eingelullt von den zwar streckenweise sehr detailreichen aber immer auch unfassbar selbstgefälligen Kommentaren des Moderatorenduos im ORF und der sich ziemlich langweilig dahinziehenden Verleihungen, war ich schon semisediert im Halbschlaf, als ich mitbekam, dass es geknallt haben dürfte. Ich bekam die Replik des Geohrfeigten und die wütenden Attacken des Ohrfeigenden mit. So ein richtiger Watschentanz. Da waren sie sprachlos, die beiden ORF Experten, nur später, nach der Preisverleihung an Will Smith, der zwecks Ohrfeige schon kurz vorher die Bühne betreten hatte, ging‘s im ORF Studio erst richtig los. Da wurde die Dankesrede als Affront empfunden und auch die Scientologen Stories bedient – Smiths Ehefrau, deren Aussehen im Mittelpunkt der Auseinandersetzungen stand, soll eine hochrangige Scientologin sein, einer der drei Stars, die Will Smith den Oscar übergaben, war John Travolta, dem ebenfalls eine Nähe bzw. Mitgliedschaft bei den Scientologen nachgesagt wird. Meine Bemerkung dazu, die Watschn war als Plot Point gelungen, die Dankesrede schon wieder langweilig, weil zu lang und, naja meine Güte, er sprach wirklich davon, dass er ein Instrument Gottes ist und das Böse in der Welt überall lauert. „The evil is always and everywhere“ – Zitat: „Erste Allgemeine Verunsicherung“.

 

Tatsächlich sind Scientology und Hollywood mittlerweile eng verknüpft, in Los Angeles gibt‘s mittlerweile einen Ron Hubbard Way und die zum weltumspannenden Konzern mutierte „Kirche“ betreibt im ältesten Studio Hollywoods, am Sunset Boulevard 440, ihren TV-Sender und hat dort ihre Medienaktivitäten konzentriert. Stars wie Travolta, Tom Cruise, Kirstin Alley und Will Smiths Ehefrau haben‘s daher nicht so weit, aber auch Dustin Hoffmann scheint dabei zu sein – zumindest tritt er immer wieder für Scientology ein, etwa in einem Brief, den die US-Scientologen an die deutsche Regierung richteten, als in Deutschland so etwas wie eine Scientologen-Verfolgung ausbrach. Bekennende Mitglieder verloren ihre Jobs, der öffentliche Dienst wollte keine Scientologen mehr einstellen, die Debatte um die fragwürdigen Methoden der als Sekte eingestuften Gemeinschaft, erzählt von ausgestiegenen Scientologen, erreichte ihren Höhepunkt. Dustin Hoffmann hat besagten Brief mitunterzeichnet und John Travolta ist fest davon überzeugt, dass er seine Karriere ausschließlich der Scientology Church verdankt.

 

Die Diskussion ist in den letzten Jahren wieder eingeschlafen, dank Will Smith wurde sie, zumindest in den sozialen Medien, wieder losgetreten. Unter anderem deswegen, weil, so heißt es auf Twitter, die Ohrfeige eine bei Scientology gängige und auch gewünschte Erziehungsmethode sei, so gesehen habe sich Smith durchaus im Rahmen des Verhaltenskodex bewegt. Seine Gattin, Jada Pinkett Smith, ist eine bekannte, erfolgreiche Schauspielerin und Produzentin, weltweit bekannt wurde sie in der Komödie „Der verrückte Professor“ mit Eddie Murphy und in der Rolle als Niobe, in Zion geboren und Kommandantin des Hovercrafts „Logos“ – erraten, es handelt sich um die Matrix Filme der zu Schwestern gewordenen Wachowski Brüder. Und es ist kein Geheimnis, so wie bei Tom Cruise, dass sie ein hochrangiges Mitglied von Scientology ist. Andere hochrangige Mitglieder aus dem Filmbiz sind auch schon bei den Scientologen ausgestiegen, der Drehbuchautor und zweifache Oscar Gewinner Paul Haggis, der fast 30 Jahre lang dabei war und als „Operating Thetan VII“ den höchsten Level der Erkenntnis erreicht hat, hatte sein Schlüsselerlebnis mit seiner lesbischen Tochter. Sie wurde nach ihrem Outing als „1.1“ gegenüber anderen Mitgliedern bezeichnet. Der Code bezieht sich auf die Kategorisierung von Menschen in L. Ron Hubbards „The Science of Survival“, und ein „1.1.“ ist demnach ein „verdeckter Feind“, und das seien die gefährlichsten und heimtückischsten. Derartige Personen hätten Gelegenheitssex, seien Sadisten und Homosexuelle. Die Homophobie ist mittlerweile aus den Texten verschwunden, kommt im Hollywood von heute nicht mehr so rasend gut.

 

Übrigens hatten Will Smith und Chris Rock schon anlässlich der Oscars 2016 eine, wenn auch virtuell geführte, Auseinandersetzung, Rock witzelte damals auch auf Jadas Kosten. Sein Vergleich mit Demi Moores Frisur aus „G.I. Jane“ heuer war wahrscheinlich besonders geschmacklos, Pinkett-Smith leidet an Haarausfall, verursacht durch eine Autoimmunschwäche.

 

Fazit, da ist doch für jeden was dabei und, wie wir mittlerweile wissen, die schwächelnden Zuseherzahlen sind wieder leicht gestiegen. Das dürfte die Academy am meisten interessieren, denn mehr als 90% ihres Jahresbudgets speist sich aus dem Rechteverkauf der Oscar Verleihungen – in Österreich z.B. durfte das Event zwar live gesendet werden, aber in der TV-Thek blieb es finster, auch der Bericht im Kulturmontag am Abend darauf konnte in der TV-Thek nicht gezeigt werden. Anscheinend waren die zusätzlichen Streaming-Rechte dem ORF zu teuer.

 

Trotz Watschentanz und dem darauffolgenden Remasuri auf allen Kanälen, wird das Filmbiz nicht zu retten sein. Dabei hatte die Oscar Nacht auch anderen lustigen Momente, etwa der Verkündigung des besten Films. Den Preis präsentiert hatten Lady Gaga und Liza Minelli. Das hatte auch seinen Grund, denn Minelli gewann vor genau 50 Jahren ihren Oscar als beste Hauptdarstellerin in „Cabaret“. Heute, in ihrem 77 Lebensjahr, sitzt sie im Rollstuhl und ist gezeichnet von ihrer Alkoholkrankheit, 2015 war sie das letzte Mal auf Entzug. Als die Nominierten verkündet wurden und Lady Gaga das Kuvert gewohnt umständlich „aufnestelte“: „And the Oscar goes to ...“, sie hielt Minelli das Kuvert hin und ohne Pause platzte es aus ihr heraus: „Coda“.

„Coda“ war auch der Hauptgewinner dieser Nacht mit drei Nominierungen und drei Oscars, nach dazu in den Hauptkategorien „bester Film“, „bester Nebendarsteller“ (der taubstumme Schauspieler Troy Kotsur) und bestes Drehbuch (Sian Heder, die auch Regie führte und deren Dankesworte klangen, als ob sie den Regieoscar gewonnen hätte). Der Film ist auf apple.tv zu sehen und daher so gut wie nicht bekannt. Es handelt um ein Remake der französischen Komödie La Famille Bélier, die 2014 ins Kino kam und ein beachtlicher Box Office Erfolg war (Budget: 13 Mio, Box Office: 73 Mio). Erfolgreich und ein braver Film, und ein wenig langweilig. Aber, damit sind wir wieder bei dem Problem unserer Tage, das darf man wahrscheinlich nicht mehr sagen. Denn ein Film, in dem das Thema Menschen mit Behinderung „verhandelt“ (gehört auch zum Vokabular einer zeitgemäßen, korrekten Beschreibung eines Films) wird, kann per se nicht langweilig sein. Leider ist das auch „Coda“, brav und engagiert, aber langweilig. Leider.

 

Die Mitglieder der Academy sind sich generell nicht mehr einig und wüsste man nicht, dass alle Mitglieder abstimmen, dann würde man an eine Regie glauben, die alle Preise gleichmäßig und politisch korrekt verteilt. Da gewinnt Altmeister Spielberg für seine semi-gelungene Interpretation der „West Side Story“ (Musikaufnahmen: nicht genügend; der Schauspieler des Toni: nicht genügend; die Tanzszenen: hervorragend; Kamera (Janusz Kaminski): sehr viel flair lens, sonst – na eh, er kanns;) himself nix, dafür aber beste Nebendarstellerin für Ariana del Bose (Latino-Afro-Amerikanerin) und ihre Darstellung der Anita – übrigens 60 Jahre nach Rita Moreno für genau die gleiche Rolle – Moreno spielt bei Spielberg die Witwe des Lokalbesitzers „Doc“ (der im Musical noch lebt), in dem sich die Jets treffen und wo Toni arbeitet.

 

„Tick, tick Boom“, die mitreißende Verfilmung des Musicals von Jonathan Larson, dass Lin-Manuel Mirinda, dem wir „Hamilton“ verdanken, so schwungvoll inszeniert hat, dass einem die Luft wegbleibt (hat weltweit mehr 110 Mio. Dollar eingespielt), geht leer aus – Hauptdarsteller Andrew Garfield war als bester Schauspieler nominiert, hier gewann bekanntlich Will Smith für seine Darstellung des Vaters der Tennissuperstars Schwestern Venus und Serena Williams in „King Richard“. Auch kein Oscar für die Musik, die Mirinda für das Animation Musical „El Canto“ geschrieben hat, dafür wurde der Film als bester Animationsfilm ausgezeichnet. Beste Regie ging an eine Frau, Jane Campion, für „Power of the Dog“, der wie ein Western aussieht, sich wie ein Western benimmt, aber ganz sicher kein Western ist. Produzent: Netflix, einmal mehr. Alle weiteren Nominierungen für den Film, 11 an der Zahl, haben sich nicht in einen Oscar konvertieren lassen.

 

Nicht zu vergessen die beste Dokumentation: „The Summer of Soul“, eine Doku geschnitten aus vergessenem Filmmaterial, dass Aufnahmen eines Musik-Festivals aus Harlem zeigt, dass parallel zum Woodstock-Festivals als das „Woodstock“ der Schwarzen gilt. Die Filmrollen lagen jahrzehntelang unbeachtet in einem Keller.

 

Das wärs im Großen und Ganzen, halt, hab noch den zweiten Gewinner des Abends vergessen: „Dune“, 10 mal nominiert und immerhin 6 Oscars, alle in technischen Kategorien, von bester Kamera bis beste Musik (Hans Zimmer). Theoretisch war für alle was dabei und die Academy konnte sich nicht genug freuen, dass erstmals ein von einem online Dienst distribuierter Film „best movie“ wurde, dass die dritte (eh erst) Frau einen Regie Oscar gewann, dass nach 36 Jahren wieder ein taubstummer Schauspieler eine Oscar gewann – um nur die wichtigsten „Meilensteine“ zu erwähnen. Aber offen gestanden, who cares. Das interessiert doch nur die beiden Moderatoren der ORF Oscar Übertragung, die wie einst, eh alles ganz genau wussten. Auch welche Filme jetzt gut oder schlecht waren oder sind, oder sein werden und welche Oscars völlig unverständlich sind, weil eben der falsche Film. Der z.B. an Will Smith, ein reines PR-Machwerk, wetterte der ORF Experte, mit dem Ergebnis Oscar. Ein bisserl „da haben die Scientologen die Fäden gezogen“ schwang da auch mit. So ganz ohne sinistre Gestalten geht‘s anscheinend nirgendwo ab.

 

Wie wenig mitreißend die Filme, bis auf rare Ausnahmen, derzeit sind, und dort dürfte der Hund begraben liegen, zeigen auch die Besucherzahlen im Kino. Auf alle Fälle national (siehe die Besucherzahlen auf der Website von „Film Austria“, einem der beiden Produzentenverbände Österreichs). Einzige Ausnahme und einsamer Leuchtturm, die von der WEGA-Film minoritär mitproduzierte Kinderkomödie „Die Schule der magischen Tiere“, die heuer rund 145.000 Besucher ins Kino brachte (der Film war schon 2019 fertiggestellt und der Pandemie wegen erst heuer ins Kino gebracht worden). Bei der 15. Oscar Nacht im Gartenbaukino, ebenfalls nur matter Besuch - ich bin tapfer ab 12:00 Uhr Mittag im Kino gesessen und hab ebenso tapfer die Ciabatta-Weckerln, Luft nach oben, und den Cafe, sehr viel Luft nach oben, im ebenfalls renovierten Kinobuffet zu mir genommen. Aber ich versteh den Betreiber irgendwie, der Andrang hielt sich in Grenzen und bei „Tick, tick, Boom“ saßen nicht einmal 40 Besucher im größten Kinosaal Österreichs. Das hat sich weder das Gartenbau, noch der Film und schon gar nicht das Buffet verdient.

 

Hat die Pandemie auch dem Kino das Genick gebrochen (lt. Statistik haben sich die Besucherzahlen in Österreich in der Pandemie um mehr als die Hälfte reduziert – wobei die Kinos gefühlte Ewigkeiten geschlossen waren) oder hat sie nur die Probleme verstärkt und gnadenlos aufgezeigt. Darüber könnte man jetzt endlos spekulieren, zumindest beim Gartenbaukino fällt nach der Renovierung das Argument „schlechte Sitze, schlechte Technik, schlechte Luft“ sicher weg. Und bei einem Box Office von mehr als 100 Mio. weltweit war „Tick, Tick Boom“ jetzt kein Film, den keiner sehen wollte. Und der Spiderman-Film im Jänner brachte mehr als eine halbe Million in Österreich ins Kino, eine Kinophobie sieht anders aus.  Mal sehen, wenn das Kino, als wichtiger Baustein in der Erlöskette des Films, wegbricht, dann gute Nacht.  

 

Stichwort gute Nacht, hier zitiere ich wörtlich den ORF Korrespondent aus Los Angeles, der, platziert vor dem Eingang des „Dolby Theaters“, zur Krise des Oscars meinte: „Ich möchte jetzt einen gewagten Vergleich mit der römisch katholischen Kirche bringen, der laufen die Mitglieder scharenweise davon, die immer noch fernab jeder Realität predigt und in Bezug auf die Oscars ist das so, man hat ja hier auch Jahre und Jahrzehnte gebraucht bis man überhaupt draufgekommen ist, dass es so etwas wie Gleichberechtigung gibt, dass man sich auch um Frauen und andere ethnische Gruppen mehr kümmern sollte. Das heißt, es gibt schon Hoffnung, dass die Academy dazulernt, aber es wäre auf alle Fälle ein wichtiger und richtiger Schritt für die Zukunft, wenn man jetzt auch irgendwie politischer wird.“ (Mitschrift aus der TV Thek, KulturMontag vom 28. März 2022) Genau, so eine fachkundige Expertise kann man getrost so stehen lassen. Gute Nacht.