Auf französischen Bahnhöfen kann es einem passieren, einem Flügel zu begegnen, einem Klavierflügel, der Passanten dazu einlädt, zu spielen oder zuzuhören. Wie daraus ein Film entstanden ist, erzählt Wolfgang Ritzberger.
Die Idee zum Film „Der Klavierspieler vom Gare du Nord“ (Au bout des doigts) hatte Regisseur Ludovic Bernard sozusagen im Vorrübergehen. Der als langjähriger Regieassistent von Luc Besson bekannte Bernard sah tatsächlich am Nordbahnhof in Paris einen jungen Mann, der auf einem Flügel spielte und zwar so gut, dass sich die Idee zum Film um diese Begegnung herum zu entwickeln begann. So spielt auch der Protagonist des Films auf dem Gare du Nord auf dem Klavier, als der Direktor des Konservatoriums hier seines Weges geht und ob des Talentes, das er hier hört, stehen bleibt. Aber aus dem Gespräch wird erst mal nix, denn als die Polizei am Bahnhof auftaucht, geht der junge Mann stiften, und Bernard zeigt eine rasante Verfolgungsjagd, die ihn in seine Vergangenheit als erster Regieassistent zurückführt - denn am Vorabend der Österreichpremiere seines Filmes erzählt er beim Abendessen, dass er in seiner Funktion als 2nd Unit Director als Spezialist für die Inszenierung von Verfolgungsjagden bekannt war.
Aber dem Protagonisten, Mathieu Malinski (gespielt von Jules Benchetrit), gelingt es vorerst zu flüchten und dem Konservatorium zu entkommen, an das er auch nicht will. Erst als eine Haftstrafe dank des Engagements des Direktors (gespielt von Lambert Wilson - international bekannt durch seine Rolle als Merowinger in der Matrix-Trilogie der Wachowski-Geschwister; Wilson war in den 90ern sogar als James Bond in der engeren Auswahl) in Sozialstunden umgewandelt wird, gelingt es, das Ausnahmetalent ans Konservatorium zu holen. Der Milieu-Unterschied wird durch die Rolle der Klavierlehrerin, einer älteren Gräfin (gespielt von Kristin Scott Thomas), zusätzlich unterstrichen, die nötige Fallhöhe für den Direktor besorgt dessen Chef, der ihn, so ihm nicht etwas Neues einfällt, kündigen möchte. Der Film ist trotz guter Kritiken an der französischen Kinokasse nicht so gut angekommen wie erwünscht, aber mit etwa 330.000 Besuchern auch nicht direkt durchgefallen. International wurde er zwar gut verkauft, lief aber ebenfalls eher zäh in den Kinos an, in Österreich hat ihn der Filmladen Ende April ins Kino gebracht, Anfang April lief er beim Festival du Film Francophone in Wien.
Ludovic Bernard gelang es, sich 2017 mit dem Film „L´Ascension“ als Regisseur zu etablieren. Er erzählt darin die wahre Geschichte von Nadir Dendoune, der ohne jegliche Vorkenntnisse an einer Himalaja-Expedition teilnimmt und es wirklich auf das Dach der Welt schafft, angeblich der Liebe wegen. Er will seiner großen Liebe zeigen, dass er für sie alles machen würde, eben auch auf den Himalaja steigen. Im Film macht Bernard aus dem Franzosen mit arabischer Herkunft, dem dieser Wahnsinns-Stunt im wahren Leben gelang, einen Franzosen mit senegalesischen Wurzeln, gespielt von Ahmed Sylla. Der Comedian spielt ihn als immer freundlichen, groß gewachsenen und ahnungslos durch die Landschaft des 8000-er stapfenden Vorstadt-Parisers und wird zum Sympathieträger des Filmes. Wie der klassische Harlekin zieht die Hauptfigur los, um auf den höchsten Berg der Welt zu steigen, weil das der einzige Weg scheint, um das Herz seiner Columbina zu erobern. Genauso inszeniert Bernard auch diesen Film, der mit fast 900.000 Besuchern in Frankreich die Erwartungen übertraf. Sein zweiter Film, die Komödie „Mission Pays Basque“, kam weniger gut an und gilt als durchgefallen. Als Ludovic Bernard nach Wien kam, um seinen Film vom Klavierspieler vorzustellen, steckte er mitten in den Vorbereitungen für seinen nächsten Film.
Du bist in Cannes geboren und in deiner Biografie heißt es, dass du deine Karriere beim Filmfestival in deiner Heimatstadt begonnen hast. Das klingt paradiesisch, Filmfestival Cannes, und schon als Schüler mittendrin?
Ludovic Bernard: Ja, das war es, ein Paradies. Ich habe die Schule geschwänzt, um mitarbeiten und Filme schauen zu können. Ich hatte zwar noch keine Ahnung von den Regisseuren oder Schauspielern, aber ich war schwer beeindruckt von der großen Leinwand und den Bildern, die dort hingezaubert wurden. Ich glaube, es war nach einer Vorstellung von „Paris Texas“ von Wim Wenders, als ich zum ersten Mal genau wusste, was ich einmal machen möchte. Ich war damals 15 Jahre alt. Die 8-mm-Kamera meines Vaters, die ich mir „ausgeborgt“ hatte, gab ich nachher nicht mehr her.
Frankreich scheint als einziges europäisches Land eine echte, professionelle Filmindustrie zu haben?
Frankreich ist ein großartiger Platz, um Filme zu machen und davon auch leben zu können. Pro Jahr erscheinen mehr als 250 Kinofilme und unzählige Produktionen für das Fernsehen. Die Filmindustrie ist daher sehr groß und auch sehr stark, und die Politik unternimmt dankenswerter Weise alle Anstrengungen, damit das so bleibt.
In deinem Debutfilm „L´Ascension“, der ja sehr erfolgreich war, hast du den Hauptdarsteller von einem Franzosen mit arabischen Wurzeln in einen schwarzen Franzosen verwandelt. Warum?
Ich weiß, dass es diesbezüglich viele Spekulationen gegeben hat, im wirklichen Leben hat ja Nadir Dendoune dieses Kunststück vollbracht. Der einzige Grund war, dass Ahmed Sylla schlicht und einfach beim Casting die beste Wahl war und uns alle überzeugt hat. Es gab keinen anderen Grund.
Dem kann ich zustimmen, er ist der absolute Sympathieträger im Film. Wie war die Zusammenarbeit?
Sehr schön und auch sehr einfach. Ahmed Sylla macht Stand-Up-Comedy und weiß, wie man wirklich lustig und sympathisch wirkt, er weiß alles über die Komödie. Er ist voller positiver Energie und hat alle damit angesteckt. Was er lernen musste, war, auf die anderen Schauspieler zu hören, mit ihnen gemeinsam zu spielen, denn bis dahin war er gewohnt, dass es nur ihn gibt und sonst niemanden.
Die Dreharbeiten fanden ja in Nepal statt. Wo habt ihr den Gipfelsieg gedreht?
Wir haben einen Großteil des Films an Originalschauplätzen in Nepal gedreht. Wir waren tatsächlich in einem der Basislager auf 5.364 Meter Höhe und sind bis 6.000 Meter hinauf gestiegen, um zu drehen. Dort haben wir auch „unseren“ Gipfel gefunden.
Im Vorspann ist Netflix als Kooperationspartner genannt. Wie war die Zusammenarbeit?
Die gab es für mich nicht, denn Netflix hat die weltweiten Rechte nach dem Kinostart in Frankreich gekauft. Den Deal hat mein Produzent eingefädelt und unglücklicherweise habe ich niemanden von Netflix getroffen.
Es heißt, die Idee zum Klavierspieler ist wirklich auf einem Bahnhof entstanden? War es schwer, den jungen Schauspieler zu finden?
Ja, und ich habe sogar den Zug versäumt, weil ich von dem jungen Mann, der dort Klavier spielte, so fasziniert war. Das ging mir dann nicht mehr aus dem Kopf. Die Anfangsszene im Film habe ich genauso erlebt. Den richtigen Schauspieler zu finden, war ein langer und sehr schwieriger Weg, denn wir haben zuerst nach einem richtigen Pianisten gesucht. Da das nicht geklappt hat, haben wir das Casting erweitert und nur nach einem Schauspieler gesucht. Als Jules Benchetrit zur Tür hereinkam, wussten wir sofort, der ist es. Das Schwierige war, genau den Richtigen zu finden, denn der ganze Film hängt von ihm ab.
Wie war die Arbeit mit Lambert Wilson, den die meisten noch als den Merowinger aus der Matrix vor sich sehen?
Ganz einfach, Lambert Wilson ist nicht umsonst ein international gefragter Schauspieler. Sein Spiel ist kraftvoll und sehr subtil, er beherrscht die feinsten Zwischentöne. Ich hoffe, dass wir wieder einmal zusammen einen Film machen werden.
Kurz gefragt, wovon handelt der Film?
Der Film erzählt davon, wie man sich selbst übertrifft oder auf französisch: „Le dépassement de soi“.
War es ein langer Weg vom schule-schwänzenden Mitarbeiter in Cannes zum erfolgreichen Regisseur?
Eine lustige Frage, aber nein, und ich würde alles ganz genauso noch einmal machen. Ich habe jede Sekunde genossen und habe das Glück, meine Leidenschaft auch leben zu dürfen.