Es gehört das Glück dazu John Malkovich zu kennen, mit ihm schon vorher am Theater zusammengearbeitet zu haben und in dem Hollywood-Star einen Vollblutschauspieler gegenüber zu haben, der leidenschaftlich gern Theater spielt und mittlerweile zu einem Freund wurde. Der Glückspilz ist Michael Sturminger, Jahrgang 1963, der vor allem für seine Theaterregiearbeiten bekannt ist und dessen Ausflüge zum Film selten waren. Besonders glückvoll, wenn es gelingt beides, Film und Theater, zu kombinieren. Das Bühnenstück „The Giacomco Variations“, gemeinsam mit John Malkovich und dem Komponisten und Dirigenten Martin Haselböck entwickelt, wurde zwischen Tiflis und Santiago de Chile rund 150 mal aufgeführt und 2014 unter dem Titel „Casanova Variations“ verfilmt. Für das Drehbuch bekommt Sturminger eine Goldene Romy, das Publikum in San Sebastian ist bei der Weltpremiere entzückt, nur im Kino sehen den Film in Österreich kaum mehr als 5.000 Besucher. Seit Dienstag sind es um ein volles Haus mehr – das Metro Kinokulturhaus war bis auf den letzten Platz gefüllt.
Der Film ist wahrscheinlich exemplarisch für das Schaffen der Amour Fou, die vor 27 Jahren von Bady Minck und Alexander Dumreicher-Ivanceanu gegründet wurden. Beide verstehen sich als Künstler, Dumreicher-Ivancenau sprach bei der Eröffnung der Retrospektive sogar von einem radikalen Verständnis von Kunst. Seine Mutter, wissenschaftlich im Bereich Nachhaltigkeit und Kommunikation tätig, und sein Vater, ein viel geachteter Theaterregisseur und Schriftsteller, prägten Sohn Alexander und seine Schwester (die heute in der Amour Fou für Dokumentationen zuständig ist), wie er selbst erzählt, von klein auf. Michael Sturminger kennt er ebenfalls von Kindesbeinen an, nicht zuletzt weil er bei seinem Vater Regieassistent war. Bady Minck aus Luxemburg studierte in Wien Bildhauerei an der Akademie und experimentellen Film an der Angewandten. Alexander begann beim Film als Best Boy und Assistent, unter anderem als Regieassistent bei Bady Minck – 1995 gründeten die beiden schließlich die Amour Fou, zunächst in Luxemburg und zunächst als Verein und 2001, gemeinsam mit Gabriele Kranzlbinder und Virgil Widrich, die Amour Fou – Zweigstelle Wien. Der große Durchbruch gelang 2003, als vier von ihnen produzierte Filme nach Cannes eingeladen wurden ("Pas de Repos pour les braves" von Alain Guiraudie, "Struggle" von Ruth Mader, "Im Anfang war der Blick" von Bady Minck und "Fast Film" von Virgil Widrich). 2017 bekommen beide eine Goldene Romy als Produzenten für Dieter Berners Schiele Film „Tod und Mädchen“ und zuletzt ging der Debutfilm von Evi Romen „Hochwald“ bei der Kritik, etlichen Festivals und den Nominierungen für den österreichischen Filmpreis sozusagen durch die Decke, derzeit ist Stefan Ruzowitzkys „Hinterland“ einer der Favoriten für den heurigen Filmpreis. Die Geschichte des Kriminalkommissars Perg, der als Offizier aus der Gefangenschaft nach dem 1. Weltkrieg in ein völlig verändertes Wien und gänzlich neues Österreich heimkehrt, wobei sich zu den alten Trotteln der ehemaligen Oberschicht neue Trotteln hinzugesellt haben, wird optisch derart radikal erzählt, dass der Film wie ein dystopischer SF-Krimi wirkt. Fast als wollte uns die gute alte Zeit erzählen, wie schrecklich sich ihr Ende auf Land und Leute auswirken wird. Aber zurück zur Retrospektive, der Eröffnungsfilm „Casanova Variations“ ist auch als Derniere am 6. April zu sehen, dazwischen zeigt das Filmmuseum etwa ein Viertel des mehr als 100 Filme umfassenden Oeuvres der Amour Fou (darunter „Angelo“, „Hochwald“, „Hinterland“ oder „Styx“). Bady Minck war bei der Eröffnung leider nicht anwesend, das Corona-Virus zwang sie in die Quarantäne. Ihrem Filmschaffen als Regisseurin ist die „Lange Nacht der Bady Minck“ am kommenden Freitag (18. März) gewidmet – hoffentlich mit der dann genesenen Künstlerin persönlich. Gezeigt werden u.a. der Film aus dem legendären Cannes-Jahr „Am Anfang war der Blick“ und das international gefeierte, filmische Kunstwerk „Mappamundi“.
Alexander Dumreicher-Ivanceanu versuchte es abzuschätzen und kam auf etwa 80 Regisseur:innen, mit denen die Amour Fou zusammengearbeitet hat, mit etlichen auch bei mehreren Projekten. Evi Romen, deren Debutfilm „Hochwald“ wie erwähnt von Minck und Dumreicher-Ivanceanu produziert wurde, hatte sich zuvor als Cutterin etabliert und so schließt sich der Kreis, denn, wie Alexander im Publikumsgespräch nach „Casanova Variations“ feststellte, der Schnitt von Evi Romen hat ihn auch jetzt, 8 Jahre später, immer noch fasziniert. Das und das intelligent zwischen den verschiedenen Ebenen oszillierende Spiel des Giacomo Casanova – neben einem brillanten John Malkovich spielt Veronica Ferres und singen u.a. Florian Boesch und Jonas Kaufmann – hält einen auf Trab, die aus verschiedenen Mozart Opern entnommenen Arien untermalen das immer tiefere Eindringen in die Welt des angeblich weltbesten Verführers der Menschheit. Zuletzt .... nein kein Spoiler. Anschauen. Und Mitglied werden, im Club des Filmarchivs.
Und herzliche Gratulation der Amour Fou - das muss den beiden erst jemand nachmachen, so lange so konsequent Film nicht nur als Kunst zu begreifen, sondern auch zum Teil so kompromisslos umsetzen zu können. Chapeau!
P.S.: Es darf nicht unerwähnt bleiben, dass Bady Minck und Alexander Dumreicher-Ivanceanu sich auch über die Amour Fou hinaus ins Filmgeschehen eingebracht haben. Exemplarisch sei erwähnt, dass sie gemeinsam mit Hans Königs poly-film, deren animiertens Logo für den Vorspann von Bady Minck kreiert wurde, die Wallace & Gromit Filme des Nick Parker für das breite Kino entdeckten und dass sie an der Gründung des heute bestens etablierten WorldSales, der outlook-film, beteiligt waren. Alexander war darüber hinaus Obmann der Fachgruppe Film- und Audioindustrie in der WKO-Wien und ist seit 2020 Bundesobmann des Fachverbandes der Film- und Musikwirtschaft in der Bundeswirtschaftskammer.