Am Publikum vorbei

Angesichts der knappen und schon seit fast zehn Jahren gleich bleibenden Budgets steckt das österreichische Filmschaffen in einer ernsten Krise - auch wenn einige versuchen, sich das schön zu reden. Wobei die Corona-Krise die ohnehin schon vorhandenen Strukturmängel nur verschärft und sichtbarer gemacht hat.

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Der französische Philosoph André Glucksmann hatte es so formuliert: Dem falschen Handeln geht meist das verkehrte Denken voraus. Damit wäre fast schon alles gesagt. Denn die Ankündigung vom 5. Mai des Jahres, die durch Corona darbende Filmbranche mit einer Million zusätzlicher Budgetmittel für das ÖFI und 500.000 Euro speziell für die Programmkinos zu retten, blieb auch bei der Nachfolgerin der trotzdem zurückgetretenen Kulturstaatssekretärin genauso stehen - als Summe, als Narrativ, als Erfolg, als rundum geglückte Rettungsaktion. Denn viel Neues oder Anderes hat man auch von der neuen Verantwortlichen in Sachen Kultur seit ihrem Amtsantritt nicht gehört - mit Ausnahme des Ausfalls- oder Haftungsfonds für Dreharbeiten, der die Republik bis jetzt keinen Cent gekostet hat. Die Kultur ist wieder dort, wo sie schon vorher war: Unter ferner liefen. Mit Ausnahme der Salzburger Festspiele, deren Positionierung einer Verquickung aus Wirtschaft, Politik und ein klein wenig Kultur geschuldet ist. Und der Auftritt der schon gar nicht mehr so neuen Kulturstaatsekretärin am Sonntag, dem 9. August 2020 in der ZIB 2 und jener des Kulturministers am darauffolgenden Montag in den Sommergesprächen lässt die meisten Kulturschaffenden ratlos zurück. Denn es ist wie vorher, nur schlimmer.

 

Kritik war auch keine mehr zu vernehmen, denn - und das wissen auch die kritischen Filmschaffenden - zwei Mal wird es nicht gelingen, den Fokus so auf die Anliegen der Kulturschaffenden und deren Situation zu lenken, dass einer sichtlich glücklosen aber auch hilflos wirkenden Politikern nichts anderes übrigbleibt, als das Handtuch zu werfen. Was anderen Regierungsmitgliedern ja erspart blieb. War Ulrike Lunacek also ein Einzelschicksal? Glänzt der Rest der Bundesregierung derart - Erinnerungslücken, merkwürdige Interviews im Fernsehen, das kleine Walsertal und alle anderen mehr oder weniger dramatischen „Hoppalas“ hin oder her - dass der Anblick ohne Sonnenbrillen kaum zu ertragen ist? Wahrscheinlich.   

 

Zurück zur Million mehr für das ÖFI, dem wichtigsten Förderer des österreichischen Films. Dazu darf erwähnt werden, dass das Budget des ÖFI seit fast einer Dekade nicht mehr erhöht wurde. Christoph Matznetter, Wirtschaftssprecher der SPÖ und als ehemaliger Staatssekretär im Finanzministerium auch Verhandler dieser Budgets, nennt das korrekt Deflation und meinte im MEDIA BIZ Interview, das komme de facto fast einer Halbierung des Budgets gleich. Aber nicht nur das, für 2020 wurde das Budget, von der breiten Öffentlichkeit völlig unbemerkt, erstmals wirklich gekürzt. Die Vorgeschichte: Das ÖFI hat in den letzten Jahren nicht nur mit gleichbleibenden Budgets sondern auch mit vermehrt strukturellen Aufgaben umgehen müssen, die die für Film zur Verfügung stehenden Gelder weniger haben werden lassen. Eine der Aufgaben war die Dotierung des Eurimage Budgets, in das alle teilnehmenden Staaten einzuzahlen haben. Österreich ist konkret mit einer halben Million dabei, die bis vor einigen Jahren aus dem Budget des Kulturministeriums beglichen wurde, bis man dort auf die findige Idee kam, das dem ÖFI umzuhängen. Wahrscheinlich hat die halbe Million irgendwo anders im Budget gefehlt. Die Proteste des ÖFI waren zwar notiert, gleichzeitig aber auch ignoriert worden. Bis 2019, als es plötzlich hieß: Ja, wir verstehen, die Dotierung von Eurimage wird in Zukunft wieder durch das Ministerium direkt erfolgen. Und bevor wir vergessen, es zu erwähnen, Euer Budget für 2020, liebes ÖFI, wird jetzt um genau diese Summe gekürzt. Wegtreten, weitermachen.

 

So gesehen war die besagte Million mehr - die, so jubelte die bereits vergessene Staatssekretärin, vor allem den Autoren in der Corona Zeit mehr Möglichkeiten und Einkommen verschaffen sollte – ohnehin nur mehr die Hälfte wert. Hat kurz gut geklungen, die Staatssekretärin letztlich aber auch nicht mehr gerettet. Die Filmschaffenden, obwohl das so gedacht war, übrigens auch nicht. Denn die Hälfte dieser Million war, so hörte man im ÖFI, schon beim Antragstermin Februar, dessen entscheidende Sitzung der Auswahlkommission bereits mitten im Shutdown stattgefunden hatte, verbraucht. Die verbleibenden Mittel für den Antragstermin Mai wurden dann auch mit Schwerpunkt Stoffentwicklung konzipiert. Zugelassen waren sogar kurze Exposés die, so verlautbarte das ÖFI, mit jeweils 5.000 Euro gefördert werden. Und dann geschah genau das, was der ORF schon bei seiner längst vergessenen Aktion 8x45 losgetreten hatte: eine fast nicht zu bewältigende Anzahl an Einreichungen. Beim ORF waren es damals knapp 150. Beim ÖFI sollen es in Summe rund 300 gewesen sein: 105 Anträge auf „normale“ Stoffentwicklungen, inklusive jener, die Referenzmittel dafür geltend machten und 165 Exposé-Anträge, die wie erwähnt mit 5.000 Euro gedeckelt waren. Die Ablehnungen enthielten dann die Formulierung, die Kommission sei der Ansicht, dass der vorliegende Stoff als erfolgversprechende Grundlage für die Weiterentwicklung zu einem Kinofilm nicht geeignet sei und aufgrund der enormen Anzahl an Einreichungen dem Projekt daher leider keine Förderpriorität eingeräumt werden konnte.

 

Cool. Die Auswahlkommission des ÖFI weiß, was ein Erfolg zu werden verspricht. Als Filmschaffender ist man ja ständig auf der Suche nach einem Guru, der genau weiß, was ein Erfolg wird und was nicht. Hat die Auswahlkommission also endlich vom Baum der Erkenntnis genascht? Eigentlich müssen wir den Mitgliedern dieser Kommission auch dankbar sein, dass sie diese Erkenntnis nicht im eigenen Bereich nutz- und gewinnbringend verwirklicht, sondern diese mit den Förderungswerbern teilt. Gilt übrigens auch für andere Termine und andere Förderinstitutionen, die mit Jurys, Beiräten oder anderen Entscheidern mit einer derartigen Expertise agieren. Wobei, die durch solche ExpertInnen finanzierten Projekte sind natürlich immer die besten, tollsten, erfolgversprechendsten, richtungsweisenden, ja schlicht epochalen Projekte. Wer aller an den Klippen des Spittelbergs (wo das ÖFI residiert) gescheitert ist, erfährt man ja nicht. Meist ist es ein Vielfaches der dann geförderten Projekte, was angesichts des zu geringen Budgets, siehe weiter oben, auch nicht weiter verwundert.

 

Die besten, tollsten, erfolgversprechendsten, richtungsweisenden und epochalen Projekte findet man beim Studium der Kinocharts der letzten Jahre auf der Seite des ÖFI. Dieses zeigt vor allem auch, mit welcher Beharrlichkeit Produktionsfirmen, Autoren und Regisseure, die einen Publikumsrenner und Festivalliebling nach dem anderen produzieren, gefördert und finanziert werden. Die ewigen Nörgler sind ja nur angfressen, weil sie keine so tollen, epochalen und erfolgversprechenden Projekte eingereicht haben und daher, logisch, nicht förderungswürdig sind. Schließlich habe man es satt, immer die gleichen Diskussionen führen zu müssen. Verständlich, wenn man sich vor Augen führt, dass die Mitglieder der Kommission, wie schon erwähnt, mittlerweile zu wissen scheinen, was ein Erfolg wird und was nicht. So ein Erfolg ist halt ein knappes Gut, entsprechend wird in den sozialen Medien die Erteilung einer Förderung gefeiert, als ob man für den Oscar nominiert worden sei. Was angesichts derart geballter Kompetenz ja nur eine Frage der Zeit sein kann. Das mit dem Oscar.

 

Konkret hat es dann Manna vom Förderhimmel geregnet: von den 165 eingereichten Exposés haben genau 33 eine Förderung bekommen  (das sind exakt 20 Prozent), 47 Autoren (einige Projekte haben zwei Drehbuchautoren) bekommen jetzt pro Projekt 5.000 Euro, von denen, wenn dann die Verträge im Lauf des August gemacht und unterschrieben sind, etwa 4.000 Euro akontiert werden. Das bleibt dann übrig, wenn die Politik etwas Großartiges zur Rettung der Filmschaffenden unternimmt. Und wer jetzt nicht wie ein Jubelperser am Straßenrand vor Begeisterung ausflippt, hat es einfach nicht verstanden. Gar nichts hat er verstanden. Das muss auch einmal gesagt werden. Und wer mit 4.000 Euro von April bis August, und dann solange man halt zum Schreiben des Drehbuchs braucht, nicht auskommt, selbst zu zweit, ist selber schuld. Kunst muss weh tun, die Damen und Herren Künstler können ja nebenbei was anderes machen, oder reich heiraten, oder Werbung drehen (wo derzeit die Preise in der Filmbranche von Einigen unterboten werden, dass die Fetzen nur so fliegen), oder Abos fürs Rote Kreuz verklopfen. Nur mit Jobs in der Gastronomie wird es momentan nicht so leicht sein, weil den arbeitslosen KollegInnen aus der Gastronomie wird wahrscheinlich derzeit eine Schulung am BFI angeboten, wo sie lernen können, wie man Filme macht. Ist ja eine Zukunftsbranche.

 

Bei den Programmkinos bin ich ebenso zuversichtlich, wie bei den Zusatzmitteln für die Filmförderung. Man stelle sich vor: 500.000 Euro, oder in Worten, eine halbe Million nur für die Programmkinos. Die müssen vor Dankbarkeit feuchte Augen bekommen haben. Jetzt aber seriös, auf wie viele Programmkinos muss das aufgeteilt werden? Mal überlegen: Auf programmkino.at werden österreichweit 16 Programmkinos als Teilnehmer der langen Nacht der Programmkinos, die im Jänner über die Leinwand gegangen ist, genannt. Gut, da fehlen jetzt einige Kinos, alleine in Wien fallen mir da etliche ein. Sagen wir, es sind 20 Kinos. Wahrscheinlich werden es mehr sein. Macht nach Adam Riese (deutscher „Rechenmeister“, der im 15. Jhdt gelebt hat und dessen Buch „Rechnung auff der Linihen und Federn“ bis ins 17 Jhdt. Als Standardwerk galt) Euro 25.000 pro Kino, wenn es nur 20 sind. Das deckt die Ausfälle der Programmkinos ganz sicher. Vier oder fünf Monate Lockdown verkraften diese Kinos ja aus der Portokassa, denn, hier schließt sich der Kreis, dank der besten, tollsten, erfolgversprechendsten, richtungsweisenden und epochalen Filme, die gefördert und damit finanziert werden, sind die Kinos ja übers Jahr rammelvoll. Das wissen vor allem die Kinos, die wie das Filmcasino oder das Votivkino und das DeFrance, mit einem Verleih verknüpft sind. Wie schon erwähnt: In der Filmbranche regnet es Manna vom Himmel und alle ProduzentInnen verbringen die meiste Zeit auf ihren Segeljachten, mit denen sie zu den Filmfestspielen in Cannes und Venedig anreisen.

 

Die Corona Krise ist das Brennglas, unter dem Fehler nur noch deutlicher werden, denn in Wahrheit hatte die Filmbranche schon vor Corona ein massives Problem. Seit fast zehn Jahren fanden keine Budgetanpassung, Erhöhung oder ähnliches statt. Selbst der Direktor des ÖFI, und der ist bekanntermaßen qua seiner Funktion sehr, sehr vorsichtig, meinte, eine Erhöhung solle mindestens ein Drittel mehr sein. Also von etwa 20 Millionen um ein Drittel auf 30 Millionen? Kommt darauf an wie ich das Drittel berechne. Oder gleich mindestens das Doppelte, wie es etliche Filmschaffende fordern und es rein mathematisch als Ausgleich für die „Nichterhöhung“ der letzten Jahre auch notwendig wäre, also 40 Millionen per anno. Oder man nehme sich etwa ein Beispiel am europäischen Ausland: Knapp sechs Millionen Dänen dotieren den nationalen Filmfonds mit etwa 70 Millionen. In Frankreich verfügt die nationale Filmförderung über etwa eine Milliarde Euro, da sind die regionalen Töpfe gar nicht mitgezählt. Ungarn wendet alleine 40 Millionen für Anreizmodelle auf, von denen wir nach wie vor nur träumen dürfen und deren Einführung auch an kleingeistigen Streitereien innerhalb der Filmbranche zerschellen könnte. So wird etwa das belgische Tax Shelter Modell, im Wesentlichen eine Abschreibmöglichkeit für steuerpflichtige „Untertanen“ des belgischen Königshauses (das Investment in Filmprojekte mindert die Steuerlast und verhilft sogar noch zu einer Gutschrift), vehement abgelehnt. Obwohl es aus belgischer Sicht ein Erfolgsmodell ist und fast 200 Millionen Euro pro Jahr generiert.

 

Derartige Modelle lassen sich ökonomisch sogar nachvollziehen und nachrechnen (was das königlich belgische Finanzministerium auch gemacht hat), die durch das begünstigte Investment entstehenden Mindereinnahmen an Steuern werden durch die Mehreinnahmen an direkten und indirekten Steuern und Effekten dank deutlich mehr werdender Filmproduktionen nicht nur kompensiert, sondern sogar übertroffen. Das wäre auch eine intelligentere Form der Vermögensverschiebung, also Vermögen in Richtung Investment zu dirigieren und so Arbeitsplätze zu schaffen. Auf alle Fälle sinnvoller als die etwas simple „eat the rich“-Strategie, bei der der Staat die Umverteilung kontrolliert. Belgien ist durch das Tax Shelter Modell ein Filmcluster geworden, mit einer technischen Infrastruktur und gut beschäftigen und ausgebildeten Filmschaffenden. Die Befürchtung, na mit dem Corona Shutdown hat sich das wohl erübrigt, hat sich als falsch herausgestellt, denn für das Brussels internationale Film Festival (BRIFF), das im September zum dritten mal stattfindet, luden die Veranstalter im Sommer zum Koproduktionsforum mit explizitem Hinweis auf das belgische Steuermodell ein. Trotzdem, das Modell wird in Österreich als Steuervermeidungsmodell für reiche Anwälte und Zahnärzte bezeichnet. Sogar hohe BeamtInnen bezweifeln, dass dabei jemals, mangels üppiger Gewinne superreicher Österreicher, Geld zusammenkommen würde. Und letztlich, so das gewichtige Argument aus dem Kreis der Interessenverbände, so würden nur die ProduzentInnen rascher zu Geld kommen. Womit sie dann was machen? Sich ein Segelschiff kaufen, oder es eventuell doch in Filmproduktionen investieren? Was es sicher gilt zu vermeiden: Die hohen Nebenkosten, die beim belgischen Modell anfallen. Aber erkannte Fehler könnten ja vermieden werden.

 

Die österreichischen Funktionäre, die das, im wesentlichen belgische, Tax Shelter Modell ablehnen, favorisieren das Tax Credit Modell, oder Tax Rabatt oder Re Paid - im wesentlichen auch ein Steuer-Anreizmodell, bei dem man allerdings nur Geld bekommt, wenn man welches mitbringt. Konkret muss dieses mitgebrachte Geld ohne damit verbundene Effekte eingebracht werden, darf also kein „Mascherl“ haben. Vom ÖFI zum Beispiel, oder vom ORF über das Film- und Fernsehabkommen. Die „Küniglbergquelle“ sprudelt bekanntlich de facto nur mit einem positiven ÖFI Bescheid. Tax Credit Modelle gibt es in ganz Europa (auch in Belgien, ist mit dem Tax Shelter Modell kombinierbar): von Tschechien über Ungarn bis nach Italien, und nicht selten tragen Filmproduktionen österreichische Steuer- und Sendergelder dorthin, weil sie (bzw. der notwendige lokale Serviceproduzent) erstens etwa 30 Prozent jedes dort ausgegebenen Euros als Rabatt oder Credit wieder zurückbekommen, und weil, wie in Tschechien und Ungarn, zweitens das allgemeine Preisniveau noch immer deutlich niedriger ist, als bei uns. „Narziss und Goldmund“ oder „Freud“ wurden genau aus diesem Grund in Tschechien gedreht. Streng genommen wäre der FISA so ein Modell. Dort ließe sich ein zusätzliches Anreizmodell auch gut einhängen, heißt es seitens der Funktionäre der Filmindustrie.

 

Dass ein Entwurf der Bundesregierung im Frühjahr 2019 aber nur 20 bis 25 Prozent Tax Credit vorgesehen haben soll, macht die gute Absicht wieder weniger gut - denn das ist deutlich weniger als bei allen anderen Modellen und gleicht auch das allgemeine Preis- und Lohnniveau, das in Österreich höher ist, nicht einmal annähernd aus. Und, es wäre wie erwähnt, eine Ergänzung, aber keine Alternative zum ÖFI. Und die scheint dringend notwendig zu sein. Denn in Richtung Film tut sich seit vergangenen Mai, also seit dem spektakulären Rücktritt, nix. Ok, fast nix, der Haftungsfonds, der in all den Fällen greift, wo sich die übliche Versicherung mit Hinweis auf eine Pandemie aus dem Vertrag verabschieden kann, wurde installiert. Der der Republik bis jetzt keinen Cent gekostet hat und wahrscheinlich auch nicht kosten wird. Obwohl die tatsächlichen Mehrkosten der Corona Krise vom Obmann der Fachgruppe in der Wiener Kammer, Alexander Dumreicher-Ivanceanu, alleine für das ÖFI auf 3 bis 5 Millionen Euro geschätzt werden. Das die ausgeglichen werden, davon war seitens der Politik noch nicht die Rede, auch nicht am ersten August-Wochenende, an dem erst die Staatssekretärin in der ZIB 2 und dann der Kulturminister in den Sommergesprächen einmal mehr alle Eide schworen, die Kultur retten zu wollen, beziehungsweise alles nur Mögliche getan zu haben, um sie zu retten.

 

Die Frau Staatssekretärin rechnete auch vor, dass bis jetzt 18 Millionen Euro unter dem Titel Härtefonds an KünstlerInnen ausbezahlt wurden. Konkret 6.000 Euro pro KünstlerIn, also einen Tausender pro Monat – mein Taschenrechner spuckt aus, dass bei 18 Millionen und 6.000 Euro exakt 3.000 (in Worten Dreitausend) Künstler so gerettet wurden. In der letzten veröffentlichten Kulturstatistik der Statistik Austria ist zu lesen, dass in Österreich knapp 200.000 Menschen einer Beschäftigung mit einem Kulturbezug nachgehen, ein Drittel lebt ausschließlich davon. Die Ausgaben des Bundes für Kultur machen übrigens 0,23 Prozent des Bruttonationalproduktes (BIP) aus, der Anteil der Kultur an der Bruttowertschöpfung macht, so die Statistik. 2,8 Prozent aus. Kultur ist für die Republik also auch volkswirtschaftlich ein Gewinn. Kleiner Nebenaspekt: Das Freizeitverhalten der ÖsterreicherInnen ab 16 Jahre lässt sich, so die Statistik Austria, wie folgt zusammenfassen: „53 Prozent besuchten in den letzten 12 Monaten live-Veranstaltungen wie Konzerte, Theater, Opern etc., 48 Prozent gingen ins Kino und 44 Prozent besuchten Kulturstätten wie Denkmäler, Museen, Kunstgalerien, etc.; an Sportveranstaltungen nahmen 36 Prozent teil.“ Quod erat demonstrandum.

 

Zurück zum Film, den knappen Budgets, der großen Zahl der Anträge und den Gerüchten über Mauscheleien bei der Vergabe der Fördermittel. Die gibts natürlich und die wird es immer geben. Obwohl alle Beteiligten, vor allem die, die schon in solchen Kommissionen saßen, glaubhaft versichern, dass dem nicht so wäre. Für die Budgets, die Extramillion und die bis jetzt fehlenden Kompensationen für die Corona-Mehrkosten kann das ÖFI und die Auswahlkommission nichts. Die Richtlinien, die Terms und Conditions unter denen das Werkel läuft, bestimmt der Aufsichtsrat, der, wie alles in Österreich, möglichst austariert besetzt ist, sogar echte Branchenvertreter sind darin vertreten. Der Präsident des aafp (des älteren und größeren Produzentenverbandes in Österreich), Alexander Glehr, argumentiert für das ÖFI zum Beispiel für ein Intendantenmodell, also ein Intendant, oder Direktor, entscheidet de facto alleine. Unter Umständen mit einem Beirat an der Seite und nicht über den gesamten Etat. Aber, so Glehr, damit wäre jemand verantwortlich. Und es wären Förderungen auch verhandelbar. Derzeit rudern die Antragsteller mit der Stange im Nebel, wenn nicht, weiß er möglicherweise mehr als er dürfte. Wer eine Ablehnung bekommt, nach den Gründen fragt und sein Projekt dann entsprechend adaptiert, muss, wenn er Pech hat, erneut mit einer Absage rechnen, denn die Kommission beim nächsten Antragstermin (auch wenn sie gleich besetzt ist), muss sich an gar nix halten. Mehr Transparenz wäre wünschenswert, also zu wissen was wurde gefördert, was abgelehnt und transparentere Entscheidungsmechanismen und nachvollziehbare Begründungen.

 

Die Annahme, Glück und Unglück würden sich gleich verteilen, stimmt leider so nicht. Der Autor dieses Beitrags hat für seine Masterthese („Filmförderung in Österreich, untersucht nach historischen Bezügen, ökonomischen Effekten und im internationalen Vergleich“, 2020 an der FH St. Pölten) die veröffentlichten Förderberichte des ÖFI ausgewertet, die seit 2014 sämtliche Filmförderungen, also nicht nur die des ÖFI, in Österreich erfassen und als Excel-Datei publiziert werden (auf der neu gestalteten ÖFI Seite fehlen diese Daten bis jetzt). Diese Datei umfasst sowohl Kino- als auch Fernsehfilm, Bundes- und Landesförderungen, auch TV Serien und Dokumentationen, sowohl fürs Kino als auch fürs TV. Die fast einsamen Spitzenreiter sind, nicht unerwartet: SATEL und DOR-Film. Die SATEL, die bekanntlich keinen österreichischen Eigentümer mehr hat, ausschließlich mit TV Produktionen, und die DOR fast nur mit Kinoproduktionen. Zwischen 2014 und 2018, jüngere Daten waren noch nicht verfügbar, haben die beiden Hersteller jeweils rund 24 Millionen Euro an Fördergeldern (das gesamte Produktionsvolumen wird nicht ausgewiesen) generieren können. Die Zweitgereihten, EPO-Film und Nowotny & Nowotny (heute Film AG) konnten jeweils rund 16 Millionen an Fördermitteln generieren, dahinter Allegro-Film mit knapp 15 Mio., dann Mona Film mit 11 Millionen und alle anderen mit weniger als 10 Millionen Euro. Wie könnte man sich das erklären? Die in der Statistik führenden Hersteller sind einfach erfahrener und reichen daher die besseren Projekte ein. Das würde im Umkehrschluss bedeuten, dass die anderen schlicht zu deppert sind. Dass die „Bigs“ mehr einreichen und daher die Trefferquote besser sei, scheint zwar statistisch logisch, aber angesichts des damit verbundenen Aufwands ist es eher unwahrscheinlich. Außer es gibt Hersteller, die es sich leisten können einen Brief zu schreiben, in dem nur steht: „Liebes ÖFI, lieber Filmfonds, lieber Alex! Wir wollen das jetzt machen und wir versichern, dass wir das sehr, sehr gut können. Mit ganz lieben Grüßen, Euer NN!“

 

Die Statistik gibt auch dem Genderreport Recht, denn gereiht nach RegisseurInnen braucht es fünf männliche Regisseure bevor mit Maria Kreutzer die erste Regisseurin in der Statistik auftaucht.

Vergleicht man das mit Deutschland, so gibt es auch dort Spitzenreiter, aber die sind an der Spitze nicht gar so einsam und der Abstand untereinander ist weitaus geringer. Lisa Giehl, jetzt bei der Constantin Film und vorher etliche Jahre beim Bayrischen Filmfonds beschäftigt, hat diese Ergebnisse in ihrer Dissertation veröffentlicht. Dass Gleiches und Gleiche immer wieder gefördert werden, war schon bei den Kultur-Mäzenen der Geschichte, von der Antike bis zu Gegenwart, zu beobachten, schreibt sie.

 

Den Salzburger Festspielen, denen ich ja unterstellt habe, dass deren Positionierung einer Verquickung aus Wirtschaft, Politik und ein klein wenig Kultur geschuldet sei, bin ich noch einen Absatz schuldig. Die Salzburger Festspiele sind längst kein reines Kulturfestival mehr, sondern ein Brennpunkt regionaler wirtschaftlicher und politischer Interessen. Das Land und die Stadt Salzburg konzentrieren den Großteil ihrer Bemühungen auf diese Wochen im August, in denen angeblich die Kunst- und Kulturwelt an die Stadt an der Salzach schaut. Ähnlich der angeblich weltweit bewunderten Austragungsorte von Skirennen, die es ebenfalls verstehen, Potemkinsche Dörfer zu errichten, in denen für kurze Zeit die Berühmtheiten den Glanz der weiten Welt zu streuen im Stande sind. Mit mehr als 260.000 Besuchern ist Salzburg nicht nur das bestbesuchte Festival in Österreich sondern auch ein wirtschaftlicher Faktor für die Region – und, mindestens ebenso wichtig, eine Bühne für Politiker und die Wirtschaft. Ähnlich Grafenegg in Niederösterreich, das ebenfalls, Corona hin oder her, heuer stattgefunden hat.

 

Dass Film sowohl für sich als auch als Aggregat noch viel stärkere Wirkungen und Effekte erzeugt, zeigen zahlreiche Studien, die den Zusammenhang zwischen den im Film gezeigten Bildern und dem konsequenten Handeln der Zuschauer herstellen und beweisen. 35 Millionen Besucher des Filmes „Borat“, der jetzt wirklich keine Werbung für Kasachstan war, erzeugten im darauffolgenden Jahr ein Plus bei den Ankünften von mehr als 600.000! Beispiele für eine sinnvolle und professionelle Nutzung dieser Effekte gibt es auch in Österreich. Die Serie „Der Bergdoktor“ hat in der Region Wilder Kaiser zu einem Zuwachs an Nächtigungen durch Touristen aus Deutschland um 58 Prozent geführt. Gleiches gilt für Touristen aus Indien, als Folge der in Tirol gedrehten Bollywoodfilme. Insgesamt zählen TV Serien aus Österreich in Deutschland zwischen 2014 und 2018 mehr als 450 Millionen Zuseher (!). Eine Marktmacht und ein Werbewert, der nur mit Film erzielt werden kann.   

   

Fazit: Zuerst müsste die Politik umdenken, sich davon verabschieden bei Eröffnungen herumzustehen und die lächerlichen Budgets im Bereich Film kräftig erhöhen. Der Film steht im Wettbewerb mit anderen Förderwerbern, die ihr Handwerk besser verstehen und auch länger geübt haben (die Bauern zum Beispiel – jeder glaubt sofort, dass mit dem Fördergeld die österreichische Landschaft erhalten wird, und nicht z.B. die Stiftung Esterhazy, die bekanntlich über weit ausgedehnte Länderein verfügt). Mit ökonomischen Argumenten alleine wird das leider nichts, denn solche Effekte versprechen alle, die sich um Förderungen anstellen. Ökonomische Argumente werden in Verhandlungen binnen Sekunden vom Tisch gefegt oder wegargumentiert. Gefragt sind gute und einprägsame Argumente, gleich dem der Landschaftspflege. Dazu brauchts aber auch die Bereitschaft seitens der Politik das zu erkennen und erkennen zu wollen.

 

Ergänzend zu den Budgeterhöhungen sind alternative und/oder ergänzende Fördermodelle, also Steueranreizmodelle, ebenfalls essentiell notwendig. Und um die Kultursprecherin der Grünen, Eva Blimlinger sinngemäß zu zitieren: die Filmschaffenden wären gut beraten, sich nicht für das eine oder andere Modell entscheiden zu müssen. Beide Modelle müssen her, je mehr desto besser. Kurz, ohne deutlich mehr Geld für den österreichischen Film, wird es ihn so nicht mehr geben können. Darin sind sich übrigens auch alle einig – konkret wird, so es keine Budgeterhöhungen und zusätzliche Abgeltung der Corona-Mehrkosten gibt, von einer Reduktion von fast 30 Kinofilmen auf nur mehr 15 oder weniger pro Jahr gesprochen.

 

Da der Film aber, anders als die Salzburger Festspiele oder Grafenegg, der Politik keine Bühne bietet, der Wirtschaft keine Möglichkeit der Projektion ihrer finanziellen Interessen (Investment in Hochkultur ist Steuervermeidung mit dem Nebeneffekt dafür noch Applaus zu bekommen) und nur wenige in diesem Land verstanden haben, dass heute das Filmschaffen wesentlich zu dem Bild beiträgt, dass sich andere von uns machen, sehe ich persönlich rabenschwarz.

P.S.: Während der Salzburger Festspiele haben die Grünen ein Bild gepostet, auf dem die Grünen Mitglieder der Bundesregierung vor dem Festspielhaus in Salzburg zu sehen sind – mit Kulturminister Kogler (mit Krawatte) und Kultur-Staatssekretärin Mayer. Dazu im Text, dass Salzburg ein ermutigendes Zeichen für die Kultur wäre. Anzunehmen, dass die Mehrheit der Kulturschaffenden das auch so sieht und sich einen Haxen ausfreut, dass sie im ORF die Übertragungen aus Salzburg sehen durften, während sie überlegen mussten, wie sie den Rest des Monats August nach Verbrauch des monatlichen Tausender zu verbringen gedenken. Wahrscheinlich auf Urlaub, eh daheim – womöglich auf Balkonien. Wo´s ja bekanntlich am Schönsten ist.